Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
lohnt sich ein Schuss aus der Kanone. Für einen Mann wäre das Verschwendung von Munition. Sobald wir über die Geröllhalde geklettert sind, bleibt ihr in Bewegung. Also los. Wir sehen uns am Graben.«
Giulio bekreuzigt sich, Gianantonio murmelt ein Ave Maria, Stefano pinkelt an die Festungsmauer. Die anderen starren in nervöser Erwartung nach vorn und bereiten sich innerlich auf den Kampf vor.
»Es geht los, Jungs. Haltet euch bereit!« Tannhäuser sieht mich an und feixt. »’tschuldigung, Euer Gnaden. Ist mir so herausgeruscht.«
»Schon gut.« Ich winke lässig ab.
Tannhäuser weiß, was König Alfonso von Aragón vor Jahren, als ich mich entschloss, nach Granada zu gehen, über mich gesagt hat. Er bedaure meine Entscheidung, Rom zu verlassen, aufrichtig, denn ich sei der einzige Mann im Vatikan gewesen! König Alfonso und mich verbindet seit Jahren eine aufrichtige, innige und treue Feindschaft. Nachdem er das Königreich Neapel erobert hatte, ließ er wohl alle seine Landkarten verbrennen. Und so standen eines Tages seine Truppen auf meinem Hoheitsgebiet und belagerten eine meiner Burgen. Ich habe ihn wissen lassen, was ich davon halte. Der Kanonendonner war bis in den Vatikan zu hören. Der Papst hat versucht, zwischen Alfonso und mir zu vermitteln, um einen Waffenstillstand zu erreichen, hat aber irgendwann aufgegeben und mit der Faust auf den Tisch gehauen: »Schluss jetzt, alle beide! Wer welches Lehen der Kirche regiert, bestimme ich. Ich bin der Papst!« Mein Sieg über Alfonso, der meine Macht in Rom noch weiter gefestigt hat, imponierte Federico Tannhäuser. Er mag mich. Und er gibt gern ein bisschen mit mir an.
Das Tor wird geöffnet.
Mit gesenktem Kopf stürmen wir durch das Ausfalltor und hasten im Schutz des Gerölls von der eingestürzten Außenmauer nach Nordosten, in Richtung Goldenes Horn. Sobald wir uns den wegrutschenden Mauerschutt hinaufkämpfen, empfangen uns die Brandpfeile der türkischen Bogenschützen im Turm.
Der Gedanke an meinen Tod lässt mich nicht mehr los. Bis mich ein lauter Donnerhall aus meinen düsteren Gedanken reißt. Mein Helm erzittert. Der Kinnriemen, den ich nicht festgezurrt habe, weil ich dann das Gefühl habe zu ersticken, schlägt mir ins Gesicht.
Der Bravo neben mir – ich glaube, es ist Giulio – wird getroffen und geht zu Boden. Das Pulverfass rollt den Hang hinab, doch ein anderer hält es mit dem Fuß auf, hebt es hoch und schleppt es weiter.
Ein Pfeil kracht schräg gegen meinen Harnisch und fällt zu Boden, ohne mich zu verletzen. Pfeile zischen über mich hinweg.
Tannhäuser stolpert vor mir her und raubt mir die Sicht auf den Belagerungsturm. Zwei Schritte, drei, vier, dann haben wir den Graben erreicht, den die Türken mit Baumstämmen, Steinen und Erde schon fast aufgefüllt haben, um den Turm über die Geröllhalde bis zur Innenmauer zu schieben. Überall liegen schwelende Gestalten herum, die einmal Menschen waren. Schwarz verkohlte Leichen, vom Griechischen Feuer verbrannt.
Wieder eine Salve Pfeile. Ihr Zischen zerfetzt die Luft. Ich werfe mich auf den Boden und suche Schutz hinter einer Leiche. Die Erde ist nass. Sofort saugt sich meine Kleidung voll und klebt an meinem Körper. Ich zittere vor Anspannung, während ich darauf warte, dass einer der Pfeile meinen Harnisch durchschlägt.
Tannhäuser taucht neben mir auf und zupft mich am Ärmel.
»…?«
Ich verstehe kein Wort. Der Kanonendonner und das Geschrei übertönen ihn.
»Was?«
»…?«
Ich zucke mit den Schultern und hebe beide Hände.
»Seid Ihr verletzt?«, brüllt er mir ins Ohr.
Ich schüttele energisch den Kopf. Alles in Ordnung. »Ihr solltet hierbleiben, Euer Gnaden!«
»Wieso?«
»Weil’s da vorn ein bisschen gefährlich werden könnte!«
»Ha!« Ich lache, dann springe ich auf und renne in geduckter Haltung weiter. Tannhäuser weicht nicht von meiner Seite.
Eine Kanonenkugel fliegt mit einem schrillen Pfeifen über uns hinweg und kracht in die Geröllhalde hinter uns. Der Boden schwankt wie bei einem Erdbeben. Steinsplitter spritzen in alle Richtungen und reißen tiefe Wunden. Zwei Männer, die vor mir her laufen, stürzen verletzt zu Boden.
Einer ist Gianantonio. Ich packe ihn am Halsloch seiner Rüstung und ziehe ihn hinter mir her in Deckung. Er blutet an der Schulter. Tannhäuser will mir den Schwerverletzten abnehmen, doch ich winke ab. »Das Pulverfass, Federico! Nimm es! Ich kümmere mich um …«
Der Aufprall einer Kanonenkugel reißt die Worte
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