Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
von meinen Lippen. Eine Woge von glühend heißer Luft brandet über uns hinweg, gefolgt von einer Salve scharfkantiger Steinsplitter. Einer bohrt sich in Gianantonios Stirn, als er sich aufrichten will. Mit einem erstickten Keuchen sinkt er zurück in den Schlamm des Grabens. Er ist tot.
Fluchend springe ich auf und renne weiter, meinen rasch vorrückenden Bravi hinterher.
Wieder ein Donner! Ich blicke zurück. Das Geschoss bohrt sich genau an der Stelle in den Graben, wo ich eben noch gelegen habe. Gianantonios Leiche ist verschwunden. Entsetzt blicke ich mich um, kann sie jedoch nirgendwo entdecken.
In diesem Augenblick fällt mir sein zerfetzter Körper vor die Füße. Ich zittere. Nicht vor Angst, sondern vor Wut. Sein Herz, aus dessen abgerissenen Adern immer noch das Blut rinnt, liegt vor mir im Dreck. Ich hebe es auf und stopfe die blutige Masse in die Tasche. Ich werde Gianantonio, der mir so viele Jahre treu gedient hat, begraben – wenigstens sein Herz.
Tannhäuser packt mich am Arm und zieht mich weiter. Seine Augen sind weit aufgerissen vor Entsetzen. Er zittert. Was hat er gesehen?
Brandpfeile bohren sich vor uns in den Boden, aber wir springen in vollem Lauf darüber hinweg und rennen so schnell wie möglich zum Turm hinüber. Die Wucht unseres Angriffs, mit dem niemand gerechnet hat, treibt die türkischen Arbeiter zurück. Sie flüchten hinter den Turm.
Zwei meiner Bravi kauern mit einem Pulverfass unterhalb des Turms, direkt vor den großen Baumstämmen, über die er vorwärtsgerollt wird. Der eine hat seinen Helm verloren, der andere reißt seine Arme hoch, um sich vor den Pfeilen zu schützen, die von oben auf ihn herabprasseln. Die Bogenschützen dort oben müssen sich weit hinauslehnen, um die beiden zu treffen, und werden so zum Ziel der Männer auf der Innenmauer. Einige Türken stürzen getroffen zu Boden.
Ein Geschoss mit Griechischem Feuer kracht hinter mir in den Sand und zerbirst in einem gewaltigen Feuerball. Ich weiche zurück, springe über die Leichen und flüchte zum Turm, wo ich erschöpft, an einen Baumstamm gelehnt, zusammensinke. Dann blicke ich zurück.
Eine menschliche Fackel stolpert aus der Feuerwand. Sie schreit vor Schmerzen. Es ist Giacomo. Er stürzt zu Boden und stirbt unter Qualen.
Gott sei dem gnädig, der den Feuerbefehl gegeben hat und der für seinen Tod verantwortlich ist.
Ein lautes Dröhnen hallt in meinem Kopf wider. Das ist das Blut, das in meinen Adern rauscht, die Anspannung, die Angst, die Wut. Denn ich bin schon wieder taub.
Ein Johanniter taucht neben mir auf und wirft sich in den Schlamm. Sein schwarzer Habit mit dem weißen Kreuz über dem Herzen ist blutig und zerfetzt.
»…«
Nichts verstanden.
»…«
Ich schüttele den Kopf.
Er hat begriffen, dass ich ihn nicht hören kann. Wortlos deutet er auf die beiden Bravi, die neben mir kauern. Sie sind tot.
Der Johanniter rückt näher. »Ich bin Fra Galcerán, Euer Gnaden!«, brüllt er mir ins Ohr. »Es ist mir eine Ehre, unter Eurem Kommando in die Schlacht zu ziehen.«
»Ihr kennt mich?«
»Wir sind uns schon begegnet, Euer Gnaden. In Ägypten. In der Zitadelle von Kairo. Vor drei Jahren.«
Ich erinnere mich an ihn. »Der Sultan wollte Euch kreuzigen lassen.«
»Und Ihr habt mir das Leben gerettet.«
»Seid Ihr immer noch ein Geheimagent des Großmeisters?«
Er blickt nach oben, brüllt »Deckung!« und wirft sich auf mich. Dann klettert er umständlich über mich hinweg zu den beiden toten Bravi und zerrt sie vom Pulverfass weg. Schließlich wendet er sich wieder zu mir um. »Ich bereite jetzt die Zündung vor. Dann bringe ich Euch hier raus.«
»Oder ich Euch.«
Er lacht. »Von mir aus.«
Tannhäuser wirft sich neben mir auf den Boden. »Wir sind so weit.«
Ich nicke. »Dann verschwindet. Worauf wartet Ihr noch?«
»Auf Euch!«
»Ich komme gleich nach.«
»Aber …«
»Nun mach schon, Federico!«
Er springt auf, winkt den Männern, ihm zu folgen, und rennt in geduckter Haltung zurück zum Graben.
Fra Galcerán dreht sich zu mir um. »Habt Ihr Feuerzeug bei Euch? Ich kann keinen Funken in den feuchten Zunder schlagen.«
Ich nestele den Feuerstein, ein Zündschwämmchen und einen Kerzenstummel aus der silbernen Zunderdose an meinem Gürtel und schlage mit meinen schweißnassen Händen etliche Funken, die aber alle verglühen, ohne dass der Zunder Feuer fängt. Doch schließlich brennt er und entzündet den Docht der kleinen Kerze, die Fra Galcerán mit beiden Händen
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