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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Forschungen. Nicht, dass sich heute noch irgendjemand daran erinnern will – alles, was sie interessiert, sind die Missgeschicke, die eine meiner Meinung nach unausweichliche Konsequenz waren angesichtsdes Kriegs und der daraus resultierenden Notlage von Forschung und Wissenschaft.»
    «Das ist eine hübsche klinische Umschreibung für Massenmord», sagte ich.
    «Ja, und ich nehme an, Sie sind nur wegen der Steaks hier in Argentinien», entgegnete er.
    «Das geht Sie nichts an. Erzählen Sie mir von Anita Schwarz.»
    «Ich kann nicht glauben, dass Sie meine Zeit verschwenden mit diesem Mist!»
    «Vielleicht glauben Sie ja ihr hier», entgegnete ich und fuchtelte mit der Pistole vor seiner Nase herum. «Wie haben Sie Anita Schwarz kennengelernt?»
    «Ich habe ihren Vater kennengelernt, als ich anfing, häufiger nach Berlin zu fahren. Er war bei der SA. Später, als er Richter wurde, lernten wir uns besser kennen. Wie dem auch sei, irgendjemand machte uns miteinander bekannt. Kurt Daluege, glaube ich. Ich hatte bei seiner Geliebten eine Abtreibung vorgenommen, und alles war ohne Komplikationen verlaufen. Es war genau genommen ihre zweite, und ich fragte Daluege, ob er schon einmal über die Vorteile nachgedacht hatte, sie sterilisieren zu lassen. Hatte er natürlich nicht. Aber später gelang es ihm, sie zu überreden.»
    «Sie machen Witze.»
    «Ganz und gar nicht. Es ist ganz einfach, man muss lediglich die Eileiter abbinden. Wie dem auch sei, Daluege erzählte seinem Schwager davon. Als eine Möglichkeit für dessen Tochter.»
    Ich schüttelte entsetzt den Kopf über das, was Mengele mir da erzählte – obwohl die Erklärungen des Doktors angesichts des distanzierten Verhaltens von Schwarz, als er vom Tod seiner Tochter erfahren hatte, jetzt natürlich Sinn ergaben. «Wollen Sie mir sagen, dass Sie eine Fünfzehnjährige sterilisiert haben?»
    «Hören Sie, diese Fünfzehnjährige war von einem ganz anderen Schlag als Elisabeth Bremer. Ganz und gar anders. Anita Schwarz war behindert und betrieb trotz ihrer Jugend Gelegenheitsprostitution.Es war durchaus sinnvoll, sie sterilisieren zu lassen. Nicht nur um ihrer armen Eltern willen, sondern auch zum Wohle der genetischen Gesundheit des Volkes. Sie war nicht geeignet zur Fortpflanzung. Später dann wurden Otto und ich Kollegen. Er wurde Richter an einem der Erbgesundheitsgerichte, die nach dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses von 1933 eingeführt worden waren, und hatte über Angelegenheiten der Rassehygiene zu entscheiden. Bestimmten Personen wurde die Heirat untersagt, andere wurden zwangsweise sterilisiert.» Er hielt inne.
    «Also haben Sie beide die Sterilisation von Anita beschlossen, um des genetischen Wohls der Rasse willen», sagte ich. «Hatte Anita denn kein Mitspracherecht in dieser Angelegenheit?»
    Mengele schüttelte irritiert den Kopf. «Ihre Meinung war doch ohne Belang. Sie war spastisch, müssen Sie wissen. Sie führte ein menschenunwürdiges Leben. Jedes Erbgesundheitsgericht hätte unserer Entscheidung nachträglich zugestimmt.»
    «Wo fand die Operation statt?»
    «In einer privaten Klinik in Dahlem, wo die Mutter des Mädchens als Nachtschwester arbeitete. Eine geeignete Umgebung, das kann ich Ihnen versichern.»
    «Doch irgendetwas ging schief.»
    Er nickte. «Anders als bei einer Abtreibung ist bei einer Sterilisation eine Vollnarkose erforderlich, weswegen ich auf die Hilfe eines Anästhesisten angewiesen war. Selbstredend nahm ich die Dienste der gleichen Person in Anspruch, die ich auch bei der Sterilisation der Geliebten von Kurt Daluege hinzugerufen hatte. Jemand, den Daluege kannte. Jemand, der völlig inkompetent war, wie sich herausstellte. Ich wusste nicht, dass er drogensüchtig war. Er machte einen Fehler. Nicht die Operation hat sie umgebracht, verstehen Sie? Sondern die Narkose. Mit einfachen Worten – sie wachte nicht mehr auf. Und nachdem ich mich nun in der gleichen Zwangslage befand wie in der damals mit Elisabeth Bremer in München, beschloss ich, ihren Leichnam auf die gleiche aufsehenerregendeArt und Weise zu verstümmeln. Mit dem vollen Einverständnis der Mutter des Mädchens, wie ich hinzufügen möchte. Sie war eine strenggläubige Katholikin und fest überzeugt, dass Gott von Anfang an nicht gewollt hatte, dass ihre Tochter lebt. Das war eine große Erleichterung für meinen Kollegen und mich. Wir entledigten uns der Leiche auf der anderen Seite der Stadt, im Park von Friedrichshain. Den Rest kennen

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