Das letzte Experiment
Sie.»
«Und danach?»
«Fuhr ich nach Hause.»
«Ich meinte in den Jahren danach. Bis zu Ihrem Beitritt zur SS.»
«Ich führte weiterhin Abtreibungen und Sterilisationen durch, bis 1937. Legal, wie ich hinzufügen möchte. Ich war beim Reichsinstitut für Erbbiologie und Rassenhygiene an der Universität zu Frankfurt, wo ich als Forschungsassistent arbeitete.»
«Und heute?»
«Heute? Ich lebe sehr zurückgezogen. Ich bin ein einfacher Arzt, wie Sie sehen können.»
«Nicht ganz so einfach, denke ich. Erzählen Sie mir von dem Mädchen, das vor einer halben Stunde aus diesem Haus kam. Ich nehme an, Sie haben ihr nur die Zehennägel poliert und das Haar gekämmt?»
«Sie begeben sich in tiefes Wasser, Hausner.»
«Das ist in Ordnung, ich bin ein guter Schwimmer, Mengele.»
«Müssen Sie auch sein. Wissen Sie, was man in Argentinien mit Leuten macht, die man nicht mag? Man nimmt sie in einem Flugzeug mit und wirft sie in den Río de la Plata. Hören Sie, vergessen Sie, dass Sie dieses Mädchen je gesehen haben.»
Ich legte die Waffe beiseite und sprang vor. Ich packte ihn mit einer Hand an seinen Kaschmir-Revers und schlug ihm mit der anderen mit aller Kraft rechts und links in das erstaunte Gesicht. Vor- und Rückhand, wie ein Pingpong-Champion.
«Erzählen Sie mir, wer dieses Mädchen war. Jedes stinkende Detail Ihrer schmutzigen Arbeit in dieser Stadt, haben Sie kapiert? Ichwill restlos alles hören, oder ich zeige Ihnen, was ein unwürdiges Leben wirklich bedeutet.»
Ich ließ ihn los und stieß ihn auf den Sessel zurück. Mengele starrte mich aus zusammengekniffenen, hasserfüllten Augen an. Sein Gesicht war blass – bis auf die Stellen, wo ich seine Wangen getroffen hatte. Er legte eine Hand an den Unterkiefer.
«Perón hat eine Vorliebe für junge Mädchen», sagte er. «Zwölf, dreizehn, vierzehn. Mädchen, die kein Kontrazeptiva brauchen. Er mag die jungen Mädchen, weil sein Penis so klein ist. Ich erzähle Ihnen das, weil allein dieses Wissen in einem Land wie Argentinien ausreicht, um Sie zu töten, Hausner. Er hat es mir erzählt, als wir uns das erste Mal begegnet sind, und seit Juli letzten Jahres, als ich nach Argentinien kam, habe ich mehr als dreißig Abtreibungen für ihn durchgeführt.»
«Was ist mit Grete Wohlauf?»
«Wer ist Grete Wohlauf?»
«Ein fünfzehn Jahre altes Mädchen im Leichenschauhaus.»
«Ich kenne die Namen der Mädchen nicht», sagte er. «Aber ich kann Ihnen so viel verraten: Keines der Mädchen ist gestorben. Ich bin inzwischen gut in dem, was ich tue.»
Ich zweifelte nicht daran. Jeder hat irgendein Talent im Leben. Mengeles Talent war, Leben zu zerstören.
«Und Fabienne von Bader? Was ist mit ihr?»
«Wie gesagt, ich kenne kein Mädchen, das so heißt.»
Aus irgendeinem Grund glaubte ich ihm.
«Wissen Sie, ich bin nicht der Einzige», sagte er unvermittelt. «Der einzige deutsche Arzt, der das tut, meine ich. Wenn man Arzt und bei der SS gewesen ist, findet man leicht die Sympathie des Generals. Weil wir im Gegensatz zu den einheimischen katholischen Ärzten keine Skrupel bei Abtreibungen haben. Außerdem müssen wir tun, was immer er von uns verlangt, sonst riskieren wir, zurück nach Deutschland geschickt zu werden oder vor den alliierten Gerichten zu stehen.»
«Das ist also der Grund, warum er so begierig darauf ist, die Bekanntschaft von deutschen Ärzten zu machen.»
«Genau. Und das bedeutet, dass ich wichtig bin für ihn. Dass ich seine Bedürfnisse erfülle. Können Sie von sich das Gleiche behaupten?» Mengele grinste. «Nein. Dachte ich mir. Sie sind nur ein dämlicher Polizist mit einer sentimentalen Ader. Sie werden sich nicht lange halten in Argentinien. Diese Leute sind genauso skrupellos wie wir Deutschen. Sie sind berechenbar. Alles, was sie wollen, ist Geld und Macht. Ideologie spielt eine unwichtige Rolle. Kein Hass. Was sie wollen, ist nur Geld und Macht.»
Ich zeigte ihm die Smith & Wesson in meiner Hand. «Seien Sie nicht so sicher, dass ich weniger skrupellos bin als Sie. Ich hätte nicht übel Lust, Ihnen in den Bauch zu schießen und anschließend in aller Ruhe beim Sterben zuzusehen. Einfach so. Sie würden es wahrscheinlich ein Experiment nennen. Vielleicht tue ich es ja. Wahrscheinlich wird man mir dafür einen Nobelpreis verleihen, in Medizin. Aber zuerst werden Sie einen Stift und ein Blatt Papier holen und alles aufschreiben, was Sie mir soeben erzählt haben. Einschließlich dem, was Sie über die Vorliebe des
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