Das letzte Experiment
wunderschönes Mädchen. Viel zu gut für Walter. Wie dem auch sei, sie war fest entschlossen, das Kind nicht auszutragen. Sie wollte selbst zur Universität und Medizin studieren.» Mengele runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. «Ich dachte, ich würde ihr helfen, doch dann kam es zu Komplikationen. Eine Blutung. Selbst in einem Krankenhaus wäre sie mit großer Wahrscheinlichkeit gestorben, verstehen Sie, aber wir waren nicht in einem Krankenhaus, sondern in meiner Wohnung in München. Und ich hatte keineMöglichkeit, ihr zu helfen. Sie ist auf meinem Küchentisch verblutet.» Er stockte für einen Moment und sah beinahe ein wenig betrübt drein angesichts der Erinnerungen. «Sie dürfen nicht vergessen, dass ich noch ein junger Mann war und meine ganze Zukunft noch vor mir hatte. Ich wollte den Menschen helfen. Als Arzt, verstehen Sie? Jedenfalls, ich geriet in Panik. Ich hatte eine Leiche in meiner Wohnung, und jeder Forensiker hätte sofort gesehen, dass sie an den Folgen einer Abtreibung gestorben war. Ich suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, meine Spur zu verwischen.
Es war Walters Idee, ihre Geschlechtsorgane zu entfernen. Ehrlich. Er hatte in einem Magazin ein paar abscheuliche Einzelheiten über einen länger zurückliegenden Lustmord gelesen und meinte, wenn wir Elisabeths Tod aussehen lassen wie einen Lustmord, würden wir zumindest sicherstellen, dass die Polizei nicht nach einem illegalen Engelmacher fahndete. Er hatte recht. Also schnitt ich sie auf, wie ich es in der Anatomie-Vorlesung gesehen hatte, und Walter schaffte ihre Leiche weg. Sein Vater in Günzburg verschaffte ihm ein Alibi. Er sagte, sein Sohn wäre zum Zeitpunkt von Elisabeths Tod zu Hause gewesen. Es war nicht das erste Mal, dass er für seinen Sohn falsche Aussagen gemacht hatte. Doch nach diesem Vorfall musste Walter klein beigeben und tun, was sein Vater ihm sagte. So musste er schließlich zur SS. Damit er nicht wieder in Schwierigkeiten kam.» Mengele lachte auf. «Wirklich zu komisch, wenn man drüber nachdenkt. Die Amerikaner haben ihn in Dachau erschossen.» Er schüttelte den Kopf. «Aber ich wollte das arme Mädchen nicht töten, ganz bestimmt nicht. Sie war wunderschön. Eine richtige arische Schönheit. Ich wollte ihr doch nur helfen. Warum auch nicht? Sie hatte einen Fehler gemacht, das war alles. So etwas passiert andauernd, selbst den angesehensten Bürgern.»
«Erzählen Sie mir von Kassner», verlangte ich. «Woher kannten Sie ihn?»
«Aus München. Seine Frau lebte dort von ihm getrennt. Er versuchte, sie zur Rückkehr zu ihm zu bewegen. Vergeblich, wie sichherausstellte. Irgendjemand stellte uns auf einer Party einander vor. Wir merkten bald, dass wir viele Interessen teilten. In Anthropologie, Humangenetik, medizinischer Forschung und Nationalsozialismus. Er war mit Goebbels befreundet, wissen Sie? Wie dem auch sei, ich besuchte ihn häufiger in Berlin. Um etwas von dem Geld, das ich mit meinen Abtreibungen verdient hatte, in den Fleischtöpfen auszugeben. Es war die beste Zeit meines Lebens. Ich muss Ihnen wohl nicht erzählen, wie Berlin in den Tagen damals war. Die totale Zügellosigkeit.»
«Und genau deswegen haben Sie sich eine Geschlechtskrankheit zugezogen.»
«Das ist richtig. Aber woher wissen Sie das?»
«Und Kassner behandelte Sie mit der neuen Zauberkugel, die er für die I.G. Farben klinisch testen sollte. Prontosil.»
Mengele sah mich beeindruckt an. «Das ist ebenfalls richtig. Ich sehe, dass der Ruf der Berliner Polizei wohlverdient war.»
«Er hat auch Goebbels wegen einer Geschlechtskrankheit behandelt, wussten Sie das? Ich nehme an, es ist einer der Gründe, warum man mir den Fall weggenommen hat. Weil jemand Angst hatte, ich könnte es herausfinden. Obwohl ich es natürlich bereits wusste.»
«Ich wusste, dass Kassner eine bekannte Persönlichkeit behandelte, doch ich wusste nicht, dass es Goebbels war. Offen gestanden, ich dachte, es wäre vielleicht Hitler. Es gab eine Menge Gerüchte, wissen Sie? Dass der Führer syphilitisch wäre. Dann war es also Goebbels, nicht Hitler.» Er zuckte die Schultern. «Wie dem auch sei, Prontosil war äußerst wirksam. Bis zur Entdeckung von Penicillin war es das erfolgreichste Medikament, das die I.G. Farben je entwickelte. Ich hab selbst eng mit der I.G. Farben zusammengearbeitet, später, als Kassner in ihre Dienste trat. Ich habe eine Reihe von Substanzen für sie getestet, in Auschwitz. Es waren wichtige
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