Das letzte Experiment
Athener Mitbürger zwangen ihn, sich eine Pistole an die Schläfe zu setzen und sich das Gehirn wegzupusten. Oder so, nicht wahr?»
«Warum um alles auf der Welt interessieren Sie sich für Anita Schwarz?», fragte Mengele aufgebracht. «Die Geschichte ist fast zwanzig Jahre her!»
«Nicht nur Anita Schwarz, Dr. Mengele. Auch Elisabeth Bremer. Das Mädchen in München.»
«Es war nicht so, wie Sie denken!», beharrte er.
«Nein? Was war es dann? Dadaismus? Ich glaube mich zu erinnern, dass der Dadaismus vor dem Dritten Reich ziemlich populär war. Also schön, wie war das nochmal? Sie haben zwei Mädchen ausgeweidet, weil Sie ein Künstler waren, der an Ordnung durch Chaos glaubte. Sie haben die Innereien der Mädchen für eine Collage benötigt. Oder vielleicht für eine hübsche Fotografie. Sie und Max Ernst und Kurt Schwitters …? Nein? Was sagen Sie dann dazu: Sie waren ein Medizinstudent, der beschloss, sein Taschengeld dadurchaufzubessern, dass er in Hinterhöfen bei minderjährigen Mädchen Abtreibungen durchführte. Allerdings werfen die Details noch ein paar Fragen auf. Das Wann und das Wie beispielsweise.»
«Wenn ich es Ihnen sage, werden Sie mich dann in Ruhe lassen?»
«Wenn Sie es nicht sagen, werde ich auf Sie schießen.» Ich zielte auf seinen Fuß. «Und dann lasse ich Sie in Ruhe. In Ruhe verbluten, meine ich.»
«Schon gut, schon gut!»
«Fangen wir in München an, bei Elisabeth Bremer.»
Mengele schüttelte den Kopf, bis er sah, dass ich erneut auf seinen Fuß zielte. Hastig hob er die Hände. «Nein, nicht», sagte er abwehrend. «Ich versuche doch nur, mich zu erinnern. Es ist schwierig. Es ist so unglaublich viel passiert seit damals. Sie haben ja keine Ahnung, wie bedeutungslos das alles einem Mann wie mir erscheint. Sie reden von zwei dummen Missgeschicken, die sich vor nahezu zwanzig Jahren zugetragen haben.» Er lachte bitter. «Ich war in Auschwitz, wissen Sie? Und was dort passiert ist, das war sehr außergewöhnlich. Vielleicht das außergewöhnlichste Ereignis aller Zeiten. Drei Millionen starben in Auschwitz. Drei Millionen! Und dann kommen Sie daher und wollen mit mir über zwei tote Mädchen reden.»
«Ich bin nicht hier, um über Sie zu richten, Mengele. Ich bin hier, um eine Ermittlung abzuschließen.»
«Hören Sie sich doch selbst reden, Mann! Sie klingen wie einer von diesen dämlichen kanadischen Cowboys! Wie heißen sie gleich nochmal? Ach ja,
Mounties
. Sie reden wie einer von diesen Mounties. Sie kriegen ihren Mann immer. Ist das wirklich alles, worum es geht? Berufsethos? Oder steckt noch mehr dahinter?»
«Ich stelle hier die Fragen, Doktor. Aber um Ihre Neugier zu befriedigen, es hat tatsächlich auch mit Berufsethos zu tun. Ich bin sicher, Sie wissen, was das ist. Schließlich sind Sie ja selbst ein Profi. Wie dem auch sei – ich wurde aus politischen Gründen von demFall abgezogen. Weil ich kein Nazi war. Das gefiel mir damals nicht, und es gefällt mir bis heute nicht. Also. Fangen wir mit Walter Pieck an. Sie kannten ihn recht gut, nicht wahr? Aus Günzburg?»
«Selbstverständlich. In Günzburg kennt jeder jeden. Es ist eine sehr katholische kleine Stadt. Walter und ich waren zusammen in der Schule. Zumindest so lange, bis er durchs Abitur gefallen ist. Er hat sich immer mehr für den Sport interessiert, insbesondere für den Wintersport. Er war ein phantastischer Schlittschuhläufer. Ich muss es wissen, ich bin selbst ein guter Skiläufer. Wie dem auch sei, er zerstritt sich mit seinem Vater und ging nach München, um dort zu arbeiten. Ich bestand mein Abitur und ging nach München zum Studieren. Wir gingen getrennte Wege, doch hin und wieder trafen wir uns auf ein Bier. Ich lieh ihm manchmal Geld.
Meine Familie war für Günzburger Verhältnisse reich. Mein Vater war ein kalter Mensch und eifersüchtig auf mich, denke ich. Aus diesem Grund hielt er mich während des Medizinstudiums kurz, und ich beschloss, mir selbst ein wenig Geld hinzuzuverdienen. Irgendwann wurde die Freundin eines alten Freundes schwanger, und nachdem ich im Studium bereits eine Menge über Obstetrik und Gynäkologie gelesen hatte, erbot ich ihnen, das Kind abzutreiben. Es ist nämlich im Grunde genommen ein ganz einfacher Vorgang. Es dauerte nicht lange, und ich hatte mehrere Abtreibungen durchgeführt. Ich hatte eine hübsche Summe Geldes verdient und mir davon einen kleinen Wagen gekauft.
Dann eines Tages wurde Walters Freundin schwanger. Elisabeth war ein
Weitere Kostenlose Bücher