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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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nicht? Unter diesen Umständen würde ich sogar sagen, dass es von entscheidender Bedeutung ist.»
    «Ja, ja. Natürlich. Bitte entschuldigen Sie. Es ist nur, dass ich nicht gewohnt bin, so viele Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Ich habe die letzten fünf Jahre unter einem anderen Namen gelebt. Ich bin sicher, Sie wissen, wie das ist.»
    «Allerdings. Aber jetzt wissen Sie vielleicht auch, warum die argentinische Regierung gerade mich mit dieser Aufgabe beauftragt hat. Ich bin ein Deutscher und ein ehemaliger Angehöriger der SS, genau wie Sie. Damit Sie und die anderen alten Kameraden keinen unnötigen Schrecken bekommen. Das verstehen Sie doch, oder?»
    «Ja, ja. Es ist sehr umsichtig, von dieser Warte aus betrachtet.»
    Ich zuckte die Schultern. «Auf der anderen Seite – falls Sie keinen argentinischen Pass brauchen, können wir sofort damit aufhören.» Ich schüttelte den Kopf. «Wie es so schön heißt, es würde mich keinen Deut jucken.»
    «Nein, nein. Bitte fahren Sie fort.»
    Ich runzelte die Stirn, als wäre ich unschlüssig.
    «Ich bestehe darauf», sagte er.
    «Nein, nein. Ich habe nur das Gefühl, als wären wir uns schon einmal begegnet.»
    «Das glaube ich nicht. Ich würde mich ohne Zweifel erinnern.»
    «Im Sommer 1932, in Berlin, meine ich.»
    «Im Sommer 1932 war ich in München.»
    «Ja, ganz bestimmt erinnern Sie sich. Es war im Haus eines anderen Arztes. Dr.   Richard Kassner. Am Dönhoff-Platz.»
    «Ich kann mich an keinen Dr.   Kassner erinnern.»
    Ich knöpfte meinen Mantel auf, sodass sein Blick auf den Kolben der Pistole in meinem Schulterhalfter fallen konnte. Für den Fall, dass er auf den Gedanken kam, irgendeinen chirurgischen Trick bei mir zu versuchen – beispielsweise, mit seiner Pistole einkleines Loch in meinen Schädel zu stanzen. Inzwischen zweifelte ich nämlich nicht mehr daran, dass er bewaffnet war. In einer seiner Taschen steckte etwas, das schwerer aussah als eine Packung Zigaretten. Deutlich schwerer.
    Ich wusste nicht genau, was Mengele während des Krieges getan hatte. Aber ich erinnerte mich, was Eichmann erzählt hatte. Dass Mengele in Auschwitz etwas Bestialisches getan hatte. Und dass er aus diesem Grund einer der meistgesuchten Männer in ganz Europa war.
    «Ach, jetzt kommen Sie aber. Bestimmt erinnern Sie sich. Wie hat er Sie noch gleich genannt? Biffo, nicht wahr? Oder nein, warten Sie   – Beppo. Er hat Sie Beppo genannt. Was ist aus Kassner geworden?»
    «Ich glaube wirklich, Sie verwechseln mich mit jemandem. Wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen – das ist achtzehn Jahre her.»
    «Nein, nein, im Gegenteil, jetzt fällt mir alles wieder ein, verstehen Sie, Herr Dr.   Mengele. Beppo. Ich war 1932   Polizeibeamter. Ich habe bei der Mordinspektion gearbeitet, in Berlin am Alexanderplatz. Ich habe den Mord an Anita Schwarz untersucht. Erinnern Sie sich vielleicht an Anita?»
    Er schlug die Beine übereinander. «Nein. Hören Sie, das ist alles sehr verwirrend. Ich glaube, ich brauche eine Zigarette.»
    Seine Hand ging zur Tasche, doch ich war schneller.
    «Denken Sie nicht daran», sagte ich, drückte ihm die Smith & Wesson auf den Bauch und schlug seine Hand beiseite, um meinerseits eine PPK mit Walnussholzgriff aus seiner Manteltasche zu ziehen. Ich musterte die Waffe flüchtig. Eine Achtunddreißiger mit einem Nazi-Adler auf dem Griff.
    «Nicht besonders clever von Ihnen», sagte ich. «Ein solches Souvenir aufzubewahren.»
    «Sie sind derjenige, der hier nicht besonders clever ist», sagte er.
    Ich steckte die Pistole ein und setzte mich wieder. «Aha? Und wie kommt das?»
    «Weil ich mit dem Präsidenten befreundet bin.»
    «Tatsächlich?»
    «Ich rate Ihnen, die Pistole einzustecken und zu verschwinden, auf der Stelle.»
    «Nicht, bevor wir nicht ein bisschen über alte Zeiten geplaudert haben, Dr.   Mengele.» Ich spannte den Hammer der Smith & Wesson. «Und wenn mir Ihre Antworten nicht gefallen, muss ich Ihnen wohl oder übel auf die Sprünge helfen. Ein Schuss in den Fuß. Dann ins Bein. Ich bin sicher, Sie wissen, wie es funktioniert, Doktor? Ein sokratischer Dialog?»
    «Sokratisch?»
    «Ja. Ich unterstütze Sie beim Nachdenken und Reflektieren, und gemeinsam   …», ich winkte mit der Pistole, «…   gemeinsam finden wir die Wahrheit. Dazu ist kein philosophisches Training nötig, doch wenn ich den Eindruck haben muss, dass Sie sich keine Mühe geben – nun ja, Sie wissen ja, was mit Sokrates passiert ist, oder? Seine

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