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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Präsidenten für junge Mädchen erzählt haben und den nützlichen Aufräumservice, den Sie ihm hinterher bieten. Und wenn Sie damit fertig sind, werden Sie es unterschreiben.»
    «Mit dem größten Vergnügen», sagte Mengele. «Ich unterschreibe Ihr Todesurteil. Aber bevor Sie sterben, werde ich Sie in Ihrer Zelle besuchen. Ich bringe meinen Arztkoffer mit. Vielleicht entnehme ich Ihnen das eine oder andere Organ, während Sie noch am Leben sind.»
    «Bis dahin werden Sie tun, was ich Ihnen sage, und Sie werden dabei lächeln, und wenn nicht, will ich den Grund wissen.»
    Ich schlug ihm erneut ins Gesicht, aus reiner Genugtuung. Ich hätte ihn den ganzen Nachmittag lang schlagen können. Er war so ein Typ: Manche Leute sprechen die dunkelste Seite in einem an.
    Er schrieb sein Geständnis nieder. Ich steckte das Papier ein.
    «Da Sie schon in Stimmung sind zu beichten   …», sagte ich, «…   hätte ich noch eine Frage an Sie.» Ich brachte die Pistole näher an sein Gesicht. «Und denken Sie dran, ich bin in der Stimmung, diese hier zu benutzen. Sie täten gut daran nachzudenken, bevor Sie antworten. Was wissen Sie über Direktive elf?»
    «Ich weiß lediglich, dass es dabei darum geht, Juden die Einreise nach Argentinien zu erschweren.» Er zuckte die Schultern. «Das ist alles.»
    Ich griff in die Tasche und zog den kleinen Talisman hervor, den Anna Yagubsky mir gegeben hatte. Ich ließ ihn für einen Moment an seiner Kette baumeln. Ich konnte sehen, dass er erkannte, was es war.
    «Das war ein geschickter Trick, den Mädchen die Eingeweide herauszuschneiden, um uns auf eine falsche Fährte zu locken», sagte ich. «Aber Sie sind nicht der Einzige, der solche Tricks auf Lager hat. Wenn ich Sie erschießen muss, lasse ich dieses kleine Amulett neben Ihrer Leiche liegen. Es ist ein hebräischer Talisman. Er bedeutet: ‹Auf das Leben.› Die Polizei wird ihn finden und annehmen, dass eine jener israelischen Todesschwadronen Sie eliminiert hat. Niemand wird nach mir fahnden, Mengele. Deswegen frage ich Sie nur noch ein einziges Mal: Was wissen Sie über Direktive elf?»
    Mengele krallte sich in die Unterseite seines Sessels. Er beugte sich vor und brüllte mich an. «Ich weiß nichts darüber! Ich weiß überhaupt nichts, bis auf das, was ich Ihnen schon gesagt habe! Ich weiß nichts!» Dann fiel sein Kopf nach vorn auf die Brust, und er fing an zu schluchzen. «Ich weiß nichts mehr», schniefte er. «Ich habe Ihnen alles erzählt, was ich weiß.»
    Ich stand auf, angewidert und entsetzt angesichts dieses Ausbruchs. Ich empfand nur Abscheu für ihn. Doch auch für mich empfand ich plötzlich Abscheu. Ich wusste, das Böse lauerte in mir. Das Böse lauert in jedem von uns.

SECHZEHN
BUENOS AIRES
1950
    Ich stand um sechs Uhr auf, wie immer, nahm ein Bad und frühstückte. Die Lloyds servierten ein sogenanntes gebratenes Frühstück: Zwei Spiegeleier, zwei Scheiben Schinken, ein Würstchen, eine Tomate, Pilze und Toast. Ich fühlte mich jedenfalls satt und froh. Schwer vorzustellen, dass jemand mit einem Frühstück wie diesem im Bauch in den Krieg hatte ziehen können.
    Ich ging nach draußen, um mir Zigaretten zu kaufen. Ich achtete nicht auf den Wagen, der mich überholte und abrupt anhielt. Zwei Türen wurden aufgestoßen. Die schwarze Limousine, ein Ford, war nicht als Polizeifahrzeug zu erkennen – es sei denn, man berücksichtigte die beiden schwarz gekleideten Männer mit den identischen Schnurrbärten und den dunklen Sonnenbrillen, die aus dem Wagen sprangen und eilig auf mich zukamen. Ich kannte diese Polizisten noch von früher. Von Berlin. Von München. Von Wien. Von überall auf der Welt. Es waren immer die gleichen stämmigen Männer mit den gleichen langsamen Gehirnen und den gleichen mächtigen Fäusten. Und sie hatten stets die gleiche dynamische, praktische Vorgehensweise. Sie behandelten mich wie ein peinliches Möbelstück, das so schnell wie möglich auf den Rücksitz eines Wagens befördert werden musste. Ich war schon häufiger auf Rücksitze befördert worden, viele Male. Als Privatdetektiv in Berlin war es mehr oder weniger ein Berufsrisiko gewesen. Die Gestapo hatte nicht viel übrig für Privatschnüffler, obwohl Himmler persönlich in München eine Detektei beauftragt hatte herauszufinden, ob sein Schwager seine Schwester betrog.
    Instinktiv wandte ich mich ab, um ihnen zu entwischen – und stand vor einem dritten Kerl. Ich war auf Waffen durchsucht worden und auf der Rückbank des

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