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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Herzschlag spürte ich nicht. Keine Spur von Herzschlag.
    Instinktiv drückte sie meine Hand fester gegen ihr Brustbein. «Spüren Sie es?», fragte sie drängend.
    Sie hatte Tränen in den Augen. Es war unschwer zu erkennen, warum Sie früher als Schauspielerin im Radio so erfolgreich gewesen war. Die Frau war die Personifizierung von großen Emotionen und von Melodram. Es war riskant, sie weitermachen zu lassen. Siekonnte in Flammen aufgehen, wer weiß, oder levitieren oder sich in eine Tasse voller ausgelassener Butter verwandeln. Ich war selbst schon erregt. Schließlich geschieht es nicht jeden Tag, dass die Frau des Präsidenten einen bei der Hand nahm und selbige an ihren Busen zwang. Ich beschloss, ihr zu sagen, was sie hören wollte. Ich war gut darin. Ich hatte bei einer Menge anderer Frauen üben können.
    «Ja, Señora Perón, ich kann es spüren», log ich, bemüht, meine Erektion zu verbergen.
    Sie ließ meine Hand los, und zu meiner Erleichterung schien sie sich ein wenig zu entspannen. Dann lächelte sie. «Wenn Sie bereit wären, können Sie jetzt Ihre Hand von meinem Busen nehmen.»
    Ich ließ sie noch für einen Sekundenbruchteil, wo sie war. Lange genug, um ihr in die Augen zu sehen und sie wissen zu lassen, dass ich meine Hand genau dort haben wollte, wo sie ruhte. Dann erst zog ich sie zurück. Ich überlegte, ob ich meine Finger küssen oder den Geruch des Parfums einatmen sollte, das jetzt an ihnen haftete, doch das hätte mich genauso melodramatisch dastehen lassen wie sie. Also steckte ich die Hand in die Tasche, um mir den Augenblick für später aufzuheben – wie eine teure Zigarre oder eine schmutzige Postkarte.
    Sie richtete ihr Kleid und öffnete eine Schublade, aus der sie eine Fotografie nahm und mir reichte. Es war das gleiche Foto, das Kurt von Bader mir gegeben hatte. Die Belohnung war ebenfalls genauso hoch wie der von ihm ausgelobte Betrag. Ich fragte mich, ob beide Seiten zahlen würden oder nur eine, falls es mir gelang, Fabienne zu finden. Oder keine. Beides schien mir unwahrscheinlich. Üblicherweise reagierten Eltern wütend, wenn man ein vermisstes Kind wiederfand. Zuerst auf das Kind und dann auf die Polizei. Nicht, dass es in irgendeiner Weise von Bedeutung gewesen wäre. Sie hatten mich gebeten, nach Fabienne zu suchen, weil sie zuvor jede andere Möglichkeit ausgeschöpft hatten. Und weil sie damit gescheitert waren, ging ich davon aus, dass ich keine bis überhaupt keine Chance hatte, eine Spur auszugraben, die zu dem verschwundenenKind führte. Um Erfolg zu haben, würde ich mir etwas ausdenken müssen, das bisher noch nicht gedacht worden war – und das war keine großartige Idee, eher im Gegenteil. Das Kind war mit großer Wahrscheinlichkeit längst in Uruguay oder tot, oder falls nicht, dann gab es einen Erwachsenen, der ihm half, unterhalb meines Radars zu bleiben.
    «Meinen Sie, sie können meine Tochter finden?», fragte Evita.
    «Diese Frage habe ich mir soeben selbst gestellt», antwortete ich. «Vielleicht wäre es möglich, wenn ich sämtliche Fakten hätte.»
    «Verzeihen Sie, aber ist nicht genau das die Aufgabe eines Detektivs? Ohne das Wissen um sämtliche Fakten zu arbeiten? Ich meine, wenn wir alle Fakten hätten, könnten wir sie wahrscheinlich selbst finden. Wir würden Ihre Dienste nicht brauchen. Und wir würden ganz gewiss nicht eine Belohnung über fünfzigtausend Dollar anbieten.»
    Sie hatte nicht ganz unrecht. Sie mochte melodramatisch sein – dumm war sie nicht.
    «Was bringt Sie auf den Gedanken, dass sie noch in Ihrem Land ist?», fragte ich. «Könnte sie sich nicht einfach in ein Boot gesetzt haben und nach Montevideo gefahren sein? Ein Fahrschein für neunundzwanzig Dollar, mehr braucht es nicht.»
    «Zum einen bin ich mit dem argentinischen Präsidenten verheiratet», entgegnete Evita. «Aus diesem Grund weiß ich, dass Fabienne keinen Reisepass besitzt. Und selbst wenn sie einen hätte, hätte sie noch kein Visum. Wir wissen das, weil mein Mann Luis Berres gefragt hat. Berres ist der Präsident von Uruguay. Und bevor Sie nachhaken – er hat auch die Präsidenten Videla, Chavez und Odría gefragt.»
    «Vielleicht sollte ich mich noch einmal mit ihren Eltern unterhalten?», überlegte ich laut. Hastig fügte ich hinzu: «Ich meine natürlich ihren Vater und ihre
Stief
mutter.»
    «Wenn Sie glauben, dass es irgendetwas bringt?», sagte Montalban.
    Glaubte ich nicht. Doch ich wusste nicht, was ich sonst hätte vorschlagen sollen. Alles

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