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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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abgemagerte Frau mit ihrem bis auf die Knochen abgemagerten Kind, die je eine unbehandschuhte Hand küssten. Evita reichte der Frau einen Umschlag mit einem Bündel Fünfzig-Peso-Noten darin. Wenn Otto Skorzeny sich nicht irrte, dann hatte soeben ein Teil des Nazi-Goldes seinen Weg in die verdienten Hände der argentinischen Armen gefunden, und ich wusste nicht, ob ich darüber lachen oder weinen sollte. Um ein demokratisches Aufbegehren zu verhindern, eignete sich diese rührende Szene fast so gut wie ein brennender Reichstag. Nicht einmal die heiligen Apostel hätten Wohltätigkeit effizienter gestalten können.
    Ein Fotograf von einer peronistischen Zeitung schoss ein Bild von der Szene. Das gewaltige Gemälde von Jesus Christus, der seinen Jüngern die Füße wusch, wäre natürlich mit auf dem Foto. Der Zimmermann schien seine Schülerin aus den Augenwinkeln anerkennend zu beobachten. Sehet her, dies ist meine geliebte Tochter, mit der ich äußerst zufrieden bin. Kommt nicht auf den Gedanken, jemand anderem eure Stimme zu geben.
    Evita bemerkte den Colonel. Die magere Frau und ihr Kind wurden nach draußen geführt, während sie sich immer noch unablässig bedankten. Evita wandte sich elegant auf dem Absatz um und ging durch eine Tür in der Rückwand des Zimmers. Der Colonel und ich folgten ihr. Sie schloss die Tür hinter uns. Wir waren in einem Zimmer mit einem Waschbecken, einer Kommode, einer Garderobenstange und einem einzigen Stuhl. Evita nahm darauf Platz. Zwischendem Make-up und dem Haarspray und den vielen Flaschen Parfum auf der Kommode stand ein Foto von Perón. Sie nahm es zur Hand und küsste es, und ich dachte, dass Otto Skorzeny einen Narren aus sich machte, wenn er sich einbildete, diese Frau würde jemals das Risiko einer Affäre mit einem narbengesichtigen Ganoven wie ihm eingehen.
    «Sehr beeindruckend», sagte ich und nickte mit dem Kopf in Richtung der Tür hinter mir.
    Sie seufzte und schüttelte den Kopf. «Es ist nichts. Nicht annähernd genug. Wir versuchen unser Bestes, aber die Armen werden nicht weniger.»
    Das hatte ich alles schon einmal gehört.
    «Nichtsdestotrotz muss Ihnen Ihre Arbeit doch erfüllend sein?», sagte ich.
    «Ein wenig, aber ich bilde mir nichts darauf ein. Ich bin nichts. Eine
grasa
. Eine gewöhnliche Person. Die Arbeit für sich genommen ist Belohnung genug. Außerdem ist nichts von dem, was ich verschenke, von mir selbst. Es gehört alles Perón. Er ist der wahre Heilige, nicht ich. Verstehen Sie, ich betrachte das nicht als Wohltätigkeit. Wohltätigkeit erniedrigt den Bittsteller. Was dort draußen passiert, ist soziale Hilfe. Ein Wohlfahrtsstaat. Nicht mehr und nicht weniger. Ich kümmere mich persönlich um die Verteilung der Gelder, weil ich weiß, wie es ist, in diesem Land auf Gedeih und Verderb der Willkür der Bürokratie ausgeliefert zu sein. Unsere öffentlichen Einrichtungen sind korrupt.» Sie versuchte ein Gähnen zu unterdrücken. «Und deswegen komme ich hierher, Abend für Abend, und verteile das Geld persönlich. Ganz besonders die unverheirateten Mütter Argentiniens sind mir wichtig. Können Sie sich den Grund dafür vorstellen, Señor Gunther?»
    Ich konnte mir leicht einen Grund vorstellen, doch ich wollte meine neue Wohltäterin nicht verärgern, indem ich erwähnte, dass ihr Gemahl Abtreibungen für all die minderjährigen Mädchen, mit denen er schlief, organisierte, um sie nicht zu unverheirateten Mütternzu machen. Also lächelte ich nur geduldig und schüttelte den Kopf.
    «Weil ich selbst eine alleinstehende Mutter war», sagte sie. «Bevor ich Perón kennenlernte. Ich war damals Schauspielerin. Ich war nicht die
putita
, als die meine Feinde mich darstellen. Doch im Jahr 1937, als ich noch die einfache Eva Duarte war und im Radio bei einer Seifenoper mitarbeitete, lernte ich einen Mann kennen und gebar ihm ein Kind. Der Name dieses Mannes war Kurt von Bader. Das mag Sie überraschen, Señor Gunther, aber Fabienne von Bader ist in Wirklichkeit meine Tochter.»
    Ich warf einen raschen Seitenblick zu Colonel Montalban. Er antwortete mit einem bestätigenden Nicken.
    «Als Fabienne geboren wurde, erwiesen sich Kurt und seine Frau als äußerst großzügig und erlaubten mir, Fabienne zu sehen, wann immer ich wollte – unter der Bedingung, dass sie niemals erfuhr, wer ihre richtige Mutter war. In jüngster Zeit jedoch hat sich all das geändert. Kurt von Bader ist verantwortlich für eine große Geldmenge, die die frühere Regierung

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