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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Antwort. «Ich muss Sie trotzdem durchsuchen.»
    «Und warum dann die Frage?»
    «Wenn Sie lügen, dann sind Sie wahrscheinlich auf Ärger aus», sagte er und klopfte mich ab. «Dann müsste ich ein Auge auf Sie haben.» Als er sich überzeugt hatte, dass ich unbewaffnet war, winkte er mich durch die Tür. Musik, hauptsächlich Akkordeon und Violinen, hallte auf den Hof hinaus.
    Im Durchgang gab es ein Kabuff mit einer dicken Schwarzen auf einem bequemen Polsterstuhl. Sie summte eine Melodie, die überhaupt nicht zu dem passte, was die Tango-Kapelle spielte. Auf den Oberschenkeln hatte sie eine Papierserviette und zwei Lammkoteletts. Vielleicht war es ihr Abendessen – vielleicht auch die Überreste des letzten Gastes, der dem gewaltigen
vigilante
Schwierigkeiten gemacht hatte. Sie grinste ein breites, schiefes Grinsen mit Zähnen, die so weiß waren wie Schneeflocken, während sie mich abschätzend von oben bis unten musterte.
    «Du bist auf der Suche nach einem
stepney
?», wollte sie von mir wissen.
    Ich zuckte die Schultern. Mein Castellano mochte bereits sehr viel besser sein als noch vor wenigen Wochen, doch es fiel auseinander wie ein billiger Anzug, sobald ich mit dem einheimischen Dialekt konfrontiert wurde.
    «Du weißt schon. Kaffee mit Sahne.»
    «Ich suche nach Isabel Pekerman.»
    «Woher kommst du, Süßer?»
    «Deutschland.»
    «Das macht zwanzig Peso, Adolf», sagte die Frau in der
casita
. «Keine Ahnung, was du mit ihr willst, aber der
cafinflero
ist Vincent, und Vincent hat es lieber, wenn du ihm das Bukett gibst, bevor du mit der
gallina
redest.»
    «Ich will nur mit ihr reden.»
    «Ist egal, ob du Jäger bist oder nicht. Jeder dieser
creolos
gehört zum
Centre
, und wenn du mit seiner Bagage redest, musst du löhnen. So geht das hier.»
    «Ich werde es mir merken», sagte ich, nahm zwei Banknoten aus meinem Bündel und drückte sie in ihre ledrige Hand.
    «Okay.» Sie steckte das Geld unter eine ihrer mächtigen Pobacken, wo es so sicher schien wie im Tresor einer Bank. «Du findest sie wahrscheinlich auf der Tanzfläche.»
    Ich bahnte mir einen Weg durch einen Perlschnurvorhang und gelangte in eine Szene wie aus den
Vier Apokalyptischen Reitern
. Die Wände waren bedeckt mit Gekritzel und alten Plakaten. Rings um eine schmutzige Tanzfläche aus gebohnertem Parkett standen zahlreiche kleine runde Tische mit marmornen Tischplatten. Die schwache Beleuchtung an der Decke reichte kaum aus, um das Treiben darunter zu erhellen. Frauen in Röcken, die bis zum Bauchnabel geschlitzt waren, und Männer mit tief in die Stirn gezogenen Klapprandhüten über wachsamen Augen. Das Orchester sah genauso pomadig aus, wie die Musik klang, die es spielte. Das Einzige, was fehlte, war Rudolph Valentino in einem Poncho, mit einer Peitsche in der Hand und einem Schmollen auf den Lippen. Niemandschenkte mir die geringste Aufmerksamkeit. Niemand – mit Ausnahme der größeren der beiden Tango tanzenden Frauen auf der Tanzfläche.
    Ich hätte sie um ein Haar nicht wiedererkannt. Sie sah aus wie ein Zirkuspferd. Ihre Mähne war lang und extrem blond mit einem Hauch von Grau. Ihre Augen waren groß, jedoch nicht so groß wie ihr großartig geschwungenes Hinterteil, das der Rock so gut wie nicht verhüllte. Sie trug eine mit Flitter besetzte Trikotage, die beinahe ausreichte, um die Schicklichkeit zu wahren. Wenigstens hielt ich es für eine Trikotage, nur, dass ich nicht sicher sein konnte, weil sie zwischen ihren Pobacken verschwand.
    Ich starrte sie an, um sie wissen zu lassen, dass ich sie erkannt hatte. Sie erwiderte meinen Blick und deutete mit dem Kopf zu einem freien Tisch. Ich setzte mich. Eine Kellnerin erschien. Jeder im Lokal trank
cubano
aus großen runden Gläsern. Ich bestellte mir das Gleiche und steckte mir eine Zigarette an.
    Ein stämmiger Mann kam zu mir an den Tisch. Er trug Stiefel, eine schwarze Hose, ein graues Jackett, das eine Nummer zu klein war für ihn, sowie einen weißen Schal. Er hatte so deutlich «Zuhälter» auf der Stirn stehen, dass man blind sein musste, um es nicht zu bemerken. Er setzte sich an meinen Tisch und drehte sich langsam zu seinem Zirkuspferd um. Als sie ihm zunickte, wandte er sich wieder zu mir um und grinste mich anerkennend und mitleidig zugleich an. Er anerkannte meinen Frauengeschmack und bemitleidete mich, weil ich ein Wurm war, der eine solch erniedrigende Transaktion nötig hatte, wie sie gleich stattfinden würde. In seinem zerfurchten Gesicht war keine Spur von

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