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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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davon habe ich meine Pistole unter den Bäumen verloren.»
    «Das denkst du», sagte sie. «Aber ich habe sie zwischen den Schulterblättern unter meinen Büstenhalter geklemmt, auf dem Rücken.»
    «Anna, hör zu. Versprich mir, dass du keine Dummheiten machst. Du weißt nicht, mit wem du es zu tun hast. Diese Männer sind Profis. Sie sind den Umgang mit Waffen gewöhnt. Lass mich die Angelegenheit regeln, bitte. Ich bin sicher, wir finden einen Ausweg.»
    «Dieser Mann, dieser General», sagte sie. «Wenn er wirklich getan hat, was du sagst, dann verdient er, erschossen zu werden.»
    «Mit Sicherheit verdient er das», sagte ich. «Aber niemand wird ihn erschießen, oder wenn, dann jemand, der weiß, was er tut.»
    Der Gaucho schob den Kopf zwischen uns. Dem Gestank nach zu urteilen, der aus seinem Mund kam, hatte er offenbar noch nieeine Zahnbürste benutzt. «Hör auf, Deutsch zu reden, und fahr!», sagte er wütend. Wie zur Betonung hatte er sein Messer gezogen und drückte mir die Spitze unter die Rippen. Ich fühlte mich wie ein Pferd, dem man die Sporen gegeben hatte.
    «Verstanden», sagte ich und trat das Gaspedal durch.
     
    Das Gebäude am Berghang hätte auch im guten alten Heidelberg stehen können. Die Aussicht über das Tal war phantastisch. Ein hübsches Chalet aus Holz, mit efeuüberwucherten Türmchen wie bei einem Schloss und einer kleinen Kapelle komplett mit Glockenturm. Unter dem Torbogen des Hauptgebäudes stand ein Fass, das offenbar Rotwein enthielt. In einem runden kleinen Ziergarten sprang ein bronzenes Rehkitz durch einen falschen Wasserfall. Fast erwartete ich, Rombergs Studentenprinzen zu sehen, wie er den Kopf unter das kalte Wasser hielt nach einer durchzechten Nacht. Meine Überraschung darüber, auf ein Stück Baden in Argentinien zu treffen, wurde noch übertroffen, als ich in ein wohlbekanntes Gesicht blickte. Auf mich kam nämlich, mit ausgestreckter Hand, mein früherer Assistent bei der Berliner Polizei, Heinrich Grund, zu.
    Zu meiner Erleichterung schien er erfreut, mich zu sehen.
    «Bernie Gunther!», sagte er. «Ich dachte mir gleich, dass du das bist! Was bringt dich hierher?»
    Ich deutete auf den Gaucho, mit dem Grund noch einen Augenblick vorher gesprochen hatte. «Er», sagte ich.
    Grund schüttelte den Kopf und lachte. «Immer noch der alte Bernie», sagte er. «Ständig im Clinch mit denen da oben.»
    Auch nach fast zwanzig Jahren sah er immer noch aus wie ein Boxer. Ein Boxer im Ruhestand allerdings. Er war grauer geworden. Sein Gesicht war von tiefen Furchen durchzogen, und sein Bauch war größer geworden. Doch er hatte noch immer das Gesicht wie eine Schweißermaske und eine Faust so groß wie ein Kommissbrot.
    «Ist er einer von denen?»
    «Was denn, Gonzalez? O ja, er ist der Betriebsleiter der Ranch. Alles hört auf sein Kommando. Er scheint zu glauben, ihr hättet spioniert.»
    «Spioniert? Was denn genau sollen wir ausspioniert haben?»
    «Keine Ahnung.» Grund musterte Anna von oben bis unten. «Möchtest du mich denn nicht deiner Freundin vorstellen?»
    «Anna, das ist Heinrich Grund. Wir waren zusammen bei der Berliner Polizei – vor ungefähr tausend Jahren.»
    «So lang ist das schon her?»
    Es fühlte sich gewiss so lange an. Ich hatte Grund seit dem Sommer 1938 nicht mehr gesehen, als er bereits ein erfahrener Beamter der Gestapo und wir längst auf Augenhöhe gewesen waren. Als ich das letzte Mal von ihm gehört hatte, war er Major bei einer Eingreiftruppe auf der Krim gewesen. Ich hatte keine Ahnung, was er gemacht hatte. Ich wollte es auch nicht wissen, ich konnt es mir ohnehin denken.
    «Heinrich», sagte ich und setzte die förmliche Bekanntmachung fort, «das hier ist Anna Yagubsky, meine Verlobte nach ihren eigenen Worten.»
    «Ich an deiner Stelle würde ihr bestimmt nicht widersprechen», sagte Grund, ergriff ihre Hand und verneigte sich wie ein richtiger deutscher Offizier. Viel eleganter, als ich ihn in Erinnerung hatte. «Sehr erfreut, Gnädigste.»
    «Ich wünschte, ich könnte das Gleiche sagen», entgegnete Anna. «Ich habe keine Ahnung, warum wir hierhergebracht wurden. Absolut keine.»
    «Ich fürchte, sie ist nicht sehr glücklich mit mir», sagte ich zu Grund. «Ich hatte ihr einen hübschen Ausflug von Tucumán aus versprochen, und dann habe ich es fertiggebracht, mich zu verfahren. Der General und seine Leute haben uns unten im Tal irgendwo aufgegabelt. Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, wir waren irgendwo, wo wir nicht

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