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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Montalban.»
    «Sie haben ihn angerufen?», fragte ich erstaunt.
    «Es scheint Sie zu überraschen.»
    «Ich sehe keine Telefonleitungen hier oben.»
    «Es gibt auch keine. Nein, ich habe ihn von unten aus angerufen.» Er deutete nach unten, ins Tal. «Es gibt dort noch ein altes Service-Telefon aus den Tagen, als die Leute von CAPRI hier gearbeitet haben.»
    «Sie haben wirklich einen wunderbaren Ausblick von hier oben, Herr Doktor», sagte Anna.
    «Ja. Allerdings steht bald ein großer Teil von all dem mehrere Dutzend Meter tief unter Wasser.»
    «Ist das nicht ein wenig ungünstig?», fragte sie. «Was wird aus Ihrem Telefon? Und der Straße hierher?»
    Er lächelte geduldig. «Wir werden selbstverständlich eine neue Straße bauen. Arbeiter gibt es reichlich, und sie sind billig.»
    «Ja», sagte Anna. «Das kann ich mir denken.»
    «Außerdem», sagte er, «ist ein See sicherlich hübsch. Ich denke, es wird aussehen wie in der Schweiz.»
    Wir gingen hinauf zum Haupthaus. Die Fassade war aus Naturstein und von hellen Balken durchzogen. Ich zählte fünfundzwanzig Fenster in der dreistöckigen Fassade. Es gab noch einen Turm mit rotem Dach, auf dem ein Mann mit einem Fernglas und einem Gewehr Wache hielt. Die Fenster im Erdgeschoss waren mit Läden im Tiroler Stil versehen, und auf den Fensterbänken standen Blumenkästen. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn uns auf dem Weg zur Tür die Arische Skivereinigung entgegengekommen wäre. Die Luft hier oben war jedenfalls sehr viel alpiner als unten im Tal.
    «Was für ein hübsches Haus!», sagte Anna. «Alles ist so   … so germanisch.»
    «Sie beide bleiben selbstverständlich zum Abendessen», sagte Kammler. «Mein Küchenchef hat früher für Hermann Göring gekocht.»
    «Und der kannte sich mit Essen aus, wie wir alle wissen», bemerkte Anna.
    Kammler lächelte verunsichert. Er wusste nicht so recht, was er von Annas Bemerkungen halten sollte. Ich wusste genau, was er dachte. Ich überlegte krampfhaft, wie ich sie zum Schweigen bringen konnte, ohne den Handrücken zu benutzen.
    «Meine Liebe», sagte Kammler. «Vielleicht möchten Sie nach Ihren Leibesübungen ja nach oben gehen und sich ein wenig erfrischen?» Er wandte sich einem stämmigen Dienstmädchen zu, das im Hintergrund gewartet hatte. «Zeigen Sie unserem Gast doch bitte das Gästezimmer im ersten Stock.»
    Ich sah Anna hinterher, als sie die breite Treppe hinaufstieg, und hoffte, dass sie vernünftig genug war, um nicht von der Pistole Gebrauch zu machen. Jetzt, nachdem Kammler uns gegenüber freundlich war und uns seine Gastfreundschaft gewährte, war meine größte Sorge, dass sie sich in einen Racheengel verwandeln würde.
    Wir gingen in einen riesigen Salon. Heinrich Grund folgte in respektvollem Abstand wie ein hilfsbereiter Schatten. Er trug ein blaues Hemd und eine Krawatte und einen geschneiderten Anzug,der jedoch das Schulterhalfter nicht zu verbergen mochte. Keiner von diesen Leuten ging offenbar auch nur das geringste Sicherheitsrisiko ein.
    Das Wohnzimmer sah aus wie eine Kunstgalerie. An den Wänden hingen mehrere alte und zahlreiche neuere Meister. Ich konnte sehen, dass Kammler mit weit mehr als nur der nackten Haut aus den Ruinen Europas entkommen war. In einem großen, freistehenden Vogelkäfig in orientalischem Stil flatterte ein gelber Kanarienvogel auf und ab und zwitscherte wie eine kleine gelbe Fee. Hinter zwei französischen Fenstern erstreckte sich ein makelloser Rasen, der aussah wie der grüne Filz eines Billardtisches. Dieses Haus war weit entfernt von Auschwitz-Birkenau.
    Für den Fall, dass es nicht weit genug war, stand ein Flugzeug auf dem Rasen geparkt.
    Ich hörte ein Ploppen und drehte mich um. Kammler hatte eine Flasche geöffnet.
    «Um diese Zeit trinke ich immer ein Glas Champagner. Möchten Sie mir dabei Gesellschaft leisten?»
    «Ja, gern.»
    «Es ist mein einziger echter Luxus», sagte er und reichte mir ein Glas.
    Fast hätte ich aufgelacht beim Anblick der Kiste Partagas auf dem Sideboard oder der Lalique-Karaffe mit dazu passenden Gläsern oder der silbernen Schale mit Rosenblüten auf dem Wohnzimmertisch.
    «Deutz», sagte er. «Ziemlich schwierig zu kriegen hier oben im Norden.» Dann prostete er mir zu. «Auf Deutschland!»
    «Auf Deutschland!», antwortete ich und kostete den herrlichen Champagner. Ich blickte wie beiläufig aus dem Fenster auf das startbahnlange Stück Rasen und die silberne Maschine. «Was ist das? Eine BFW-109?»
    «Ja. Eine 109  

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