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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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hingedurft hätten.»
    «Ja. Gonzalez hat erzählt, dass sie euch unten beim Camp Dulcebei der Süßen Lagune gefunden haben. Das ist allerdings verboten. Davon abgesehen – wir nennen ihn nicht den General. Wir sagen Doktor. Du weißt, wen ich meine. Er ist ein enger Freund von Perón. Er nimmt Verstöße gegen das lokale Sicherheitsgesetz sehr ernst.»
    Ich zuckte die Schultern. «Berufsrisiko, denke ich. Wir alle müssen schließlich auf unsere Sicherheit achten.»
    «Nicht hier oben, keine Sorge.» Grund deutete auf die Gipfel der Sierras hinter uns. «Auf der anderen Seite liegt Chile. Es gibt einen geheimen Pass der
guarani
, von dem sonst nur noch der Doktor und Gonzalez wissen. Beim kleinsten Anzeichen von Ärger können wir alle ganz schnell wieder auf Reisen gehen.» Grund grinste. «Diese Ranch ist das perfekte Versteck.»
    «Was ist das überhaupt für eine Ranch?», fragte Anna. «Es sieht eher aus wie ein kleines Dorf.»
    «Sie wurde von einem Deutschen erbaut. Einem Mann namens Carlos Wiederhold, gegen Ende des letzten Jahrhunderts. Bald nach der Fertigstellung fand er einen noch schöneren Flecken im Süden, einen Ort namens Bariloche. Also ging er nach dort und errichtete eine ganze Stadt im gleichen Stil. Viele alte Kameraden leben dort unten. Du solltest mal hinfahren und es dir ansehen.»
    «Mache ich vielleicht», sagte ich. «Vorausgesetzt, ich kriege ein Gesundheitsattest vom Doktor.»
    «Natürlich. Ich werde sehen, was ich für dich tun kann, Bernie.»
    «Danke, Heinrich.»
    Grund schüttelte den Kopf. «Ich kann es immer noch kaum glauben. Bernhard Gunther hier in Argentinien, genau wie wir anderen alle. Ich hatte dich immer im Verdacht, ein verkappter Kommunist zu sein. Was zum Teufel ist passiert?»
    «Das ist eine lange Geschichte.»
    «Ist es das nicht immer?»
    «Sicher.»
    Grund lachte.
    «Was ist daran so lustig?»
    «Du ein flüchtiger Kriegsverbrecher, genau wie ich. Der Krieg hat uns alle zu Narren gemacht, nicht wahr?»
    «Ganz genau meine Erfahrung.»
    Ich hörte Hufgeklapper, und als ich mich umdrehte, sah ich Kammler und seine Leute, die den Berg hinaufgeritten kamen. Der ehemalige S S-Brigadeführer nahm die Stiefel aus den Steigbügeln und glitt von seinem Schimmel wie ein Jockey. Grund ging, um mit ihm zu reden. Anna beobachtete Kammler aufmerksam. Ich beobachtete Anna. Ich legte ihr die Hand um die Schultern. Tastete nach der Waffe. Sie war nicht mehr da.
    «Wo ist sie?», murmelte ich.
    «Unter meinem Gürtel», antwortete sie. «Wo ich sie leicht erreichen kann.»
    «Wenn du ihn erschießt   …»
    «Und eure kleine Nazi-Wiedersehensfeier verderbe? Keine Sorge, das würde ich niemals tun.»
    Es schien sinnlos, mit ihr zu streiten. «Wenn du auf ihn schießt, töten sie uns beide», sagte ich.
    «Meinst du, es würde mir etwas ausmachen? Nach allem, was ich vorhin gesehen habe?»
    «Ja. Und falls nicht, solltest du ernsthaft darüber nachdenken. Du bist eine junge Frau, Anna. Eines Tages wirst du vielleicht Kinder haben. Vielleicht solltest du an sie denken.»
    «Ich will keine Kinder haben, nicht in einem Land wie diesem.»
    «Dann such dir eben ein anderes aus. Ich habe es auch getan.»
    «Ja, ich denke, du fühlst dich pudelwohl in Argentinien», entgegnete sie bitter. «Das hier ist wie ein zweites Zuhause für dich, was?»
    «Anna, bitte sei still. Sei still und lass mich nachdenken.»
    Kammler kam mit einem schiefen Grinsen in dem schmalen Gesicht auf uns zu. Er hatte seine Mütze abgenommen und breitete gastfreundlich die Arme aus. Ich konnte ihn, nachdem er abgestiegenwar, nun genauer in Augenschein nehmen. Er war gut über eins achtzig groß. Er trug das ergrauende Haar oben auf dem Kopf länger und an den Seiten so kurzgeschnitten, dass es beinahe unsichtbar war. Es sah aus, als trüge er ein Scheitelkäppchen. Die Augen lagen tief in den schattigen Höhlen, fast unsichtbar. Seine Gestalt war schmal und drahtig. Einen Augenblick lang fragte ich mich, welchen Dialekt er sprach. Dann fiel es mir ein – es war ostpreußisch. Er stammte aus jener Ecke Preußens, wo man schon zum Frühstück Hering aß und Greifvögel als Haustiere hielt.
    «Ich habe mit Ihrem alten Freund Heinrich Grund gesprochen», sagte er. «Und ich habe beschlossen, Sie nicht zu töten.»
    «Wir sind sehr erleichtert», sagte Anna und lächelte ihn zuckersüß an. «Nicht wahr, Liebling?»
    Kammler musterte sie unsicher. «Grund hat sich für Sie verbürgt. Genau wie Ihr Colonel

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