Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
spastisch gelähmt. Nur die linke Seite ihres Körpers war beeinträchtigt. Sie hatte Probleme beim Gehen, und sie hatte gelegentlich Anfälle, Krämpfe, unwillkürliche Zuckungen. Sie konnte nicht gut hören.»
    Schwarz ging zu der Anrichte und legte die Hand liebevoll auf Hitlers Buch, ohne die Bibel daneben zu beachten, als könnten ihm allein die warmen Worte seines Führers spirituellen Trost schenken.
    «Waren ihre geistigen Fähigkeiten davon beeinträchtigt?», fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf. «Sie war nicht geistig behindert, falls es das ist, was Sie meinen.»
    Ich zögerte. «Gerade fällt mir noch etwas ein. Vielleicht können Sie mir erklären, wieso Ihre Tochter fünfhundert Mark bei sich trug?»
    «Fünfhundert Mark?»
    «In ihrer Manteltasche.»
    Er schüttelte den Kopf. «Das muss ein Missverständnis sein.»
    «Nein, Herr Schwarz, das ist kein Missverständnis.»
    «Woher sollte Anita denn fünfhundert Mark nehmen? Irgendjemand muss ihr das Geld in die Tasche gesteckt haben.»
    Ich nickte. «Das wäre eine Möglichkeit.»
    «Sehr ungewöhnlich.»
    «Haben Sie weitere Kinder?»,
    Er sah mich an, offensichtlich erstaunt über meine Frage. «Gütiger Himmel, nein! Wir hätten nicht riskiert, noch ein krankes Kind zu bekommen.» Er seufzte laut, und plötzlich war mir, als hinge ein Geruch von Fäulnis in der Luft. «Nein, Herr Kommissar, wir hatten genug damit zu tun, uns um sie zu kümmern, glauben Sie mir. Es war nicht einfach, das kann ich Ihnen sagen. Es war alles andere als einfach.»
    Schließlich kehrte Frau Schwarz mit ein paar Fotos zurück. Sie waren alt und zum Teil bereits verblasst. Einige hatten Eselsohren. Offensichtlich schienen sie den Eltern nicht viel wert zu sein. «Das sind alle, die ich in der Eile finden konnte», sagte Frau Schwarz. Ihre Augen hatten immer noch keine Träne vergossen.
    «Das sind alle, sagen Sie?»
    Sie nickte gleichgültig. «Ja, das sind alle, die wir haben.»
    «Danke sehr, Frau Schwarz. Ich danke Ihnen vielmals.» Ich nickte knapp. «Nun dann, wir kehren jetzt besser zur Wache zurück. Auf Wiedersehen, bis morgen.»
    Schwarz machte Anstalten, uns zur Tür zu begleiten.
    «Machen Sie sich keine Umstände, mein Herr. Wir finden allein hinaus.»
    Wir verließen die Wohnung und gingen die Treppe hinunter zur Straße. Das Café Kerkau unter der Wohnung der Familie Schwarz hatte noch geöffnet, doch mir war nach etwas Stärkerem zumute als nach Kaffee. Ich startete den Zweizylindermotor, und wir fuhren Unter den Linden hinunter in Richtung Westen.
    «Ich brauche etwas zu trinken», sagte ich nach ein paar Minuten.
    «Ich nehme an, es ist ein Glück, dass du nicht schon vorher einen getrunken hattest», brummte Grund.
    «Was meinst du?»
    «Du warst ziemlich gemein zu den beiden, Chef.» Er schüttelte den Kopf. «Meine Güte, du hast nicht mal versucht, ihnen die Sache schonend beizubringen. Du hast es einfach so gesagt, peng!»
    «Fahren wir zum Resi», sagte ich. «Irgendwohin, wo viele Menschen sind.»
    «Wir alle wissen ja, wie gut du im Umgang mit Menschen bist», schimpfte Grund. «Hast du dich so benommen, weil er bei der SA ist? Hast du ihn und seine Frau deswegen so verächtlich behandelt?»
    «Hast du nicht den Kragenspiegel gesehen? Einundzwanzigstes Bataillon. Das gleiche S A-Bataillon , in dem Walter Grabsch war. Du erinnerst dich doch an Walter Grabsch, oder? Er hat Emil Kuhfeld ermordet.»
    «Das stimmt aber nicht mit dem überein, was die zuständige Polizei sagt. Außerdem, was ist mit all den Polizisten, die von den Kommunisten umgebracht wurden? Die beiden Polizeihauptleute Anlauf und Lenck beispielsweise. Nicht zu vergessen Paul Zankert. Was ist mit diesen Kollegen?»
    «Die kannte ich nicht. Aber ich kannte Emil Kuhfeld. Er war ein guter Polizist.»
    «Genau wie Anlauf und Lenck.»
    «Ich hasse die Bastarde, die sie ermordet haben, darauf kannst du Gift nehmen – genauso wie den Mann, der Emil umgebracht hat. Der einzige Unterschied zwischen den Roten und den Nazis besteht darin, dass die Roten keine Uniformen tragen. Trügen sie welche, wäre es viel einfacher, sie gleich beim ersten Anblick zu hassen, genauso wie ich Schwarz beim ersten Anblick gehasst habe vorhin in seiner Wohnung.»
    «Wenigstens gibst du es zu.»
    «Schon gut, schon gut. Ja, ich gebe es zu. Ich war ein wenig von der Rolle. Aber es hätte viel schlimmer kommen können. Ich habe diesem Nazi-Mistkerl seine S A-Uniform nur deshalb durchgehen lassen, weil er gerade

Weitere Kostenlose Bücher