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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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seine Tochter verloren hat.»
    «Das war wirklich großzügig von dir, Chef.»
    «Obwohl ich stark bezweifle, dass sie die Sache als Verlust betrachten. Hast du gesehen, wie sie reagiert hat?»
    «Was meinst du?»
    «Komm schon, Heinrich. Du kennst das Spiel genauso gut wie ich. Ihre Tochter ist tot, ermordet. ‹Sind Sie sicher?› – ‹Ja, wir sind sicher›, Taschentuch reichen und so weiter.»
    «Sie ist Krankenschwester. Sie ist an schlimme Nachrichten gewöhnt.»
    «Mein Gott, Heinrich! Hast du sie gesehen? Sie hat nicht mal gezuckt, als ich ihr mitgeteilt habe, dass ihre Tochter tot ist. Sag mir, dass ich mich irre, Heinrich. Nirgendwo ein Foto von Anita. Die Mutter musste wenigstens zehn Minuten nach einem suchen. War es nicht so, Heinrich? Und dann hat sie uns alle Bilder mitgegeben, die sie von ihrer toten Tochter noch hat.»
    «Was ist daran falsch?»
    «Heinrich! Würdest du nicht wenigstens ein letztes Bild von deiner toten Tochter als Erinnerung behalten wollen? Nur fürden Fall, dass irgendein dummer Polizist wie du die anderen verliert?»
    «Sie weiß, dass sie die Fotos zurückbekommt. Das ist alles.»
    «Nein, nein. So funktionieren die Menschen nicht, Heinrich. Sie hätte eins behalten. Mindestens eins. Aber sie hat mir alle gegeben. Ich habe sie doch gefragt. Du hast es selbst gehört. Nicht nur das, sondern die Fotos sind nicht mal in einem vernünftigen Zustand. Als wären sie in einem alten Schuhkarton aufbewahrt worden. Wenn dich heute Nacht ein Kommunist erschießt und mich jemand nach einem Foto von dir fragt für die Polizeizeitung, kann ich ihm ein hübsches Bild geben, ein gerahmtes, und ich brauche keine zwanzig Sekunden dafür. Und das, obwohl ich nicht mal mit dir verwandt bin. Gott sei Dank.»
    «Was willst du damit sagen?»
    Ich lenkte den Wagen an den Straßenrand. Wir waren vor dem Residenz-Casino angekommen. Es war ein gutes Stück nach Mitternacht, doch immer noch kamen neue Gäste in das Lokal. Der eine oder andere darunter wahrscheinlich ein Polizist. Das Resi war beliebt bei der Kripo vom Alex, und das nicht nur, weil es in der Nähe war.
    «Ich sage, was du schon im Park gesagt hast.»
    «Und was habe ich im Park gesagt?»
    «Dass die Eltern womöglich erleichtert sind über den Tod ihrer Tochter. Dass sie womöglich denken, es sei besser für das Mädchen. Und wichtiger noch: Es sei besser für die Eltern selbst.»
    «Wie kommst du darauf?»
    «Es entspricht der Nazi-Politik, oder nicht? Dass Krüppel zu unterstützen eine Verschwendung unserer Steuergelder ist. Ich nehme an, daher hast du auch dieses Gequatsche von rassischer Reinheit, nicht wahr? Verdammt, Heinrich, du hast das Foto von Schwarz mit Hitler gesehen.» Ich steckte mir eine Zigarette an. «Ich gehe jede Wette ein, dass Hitler unseren guten Otto Schwarz noch viel mehr mögen würde, wäre da nicht seine verkrüppelte Tochter.»
    Wir betraten das Resi. Der Mann an der Tür kannte uns und winkte uns am Kartenschalter vorbei. Kein Club kassierte Eintritt von der Polizei. Sie brauchten uns. Insbesondere die großen Clubs wie das Residenz-Casino, wo jeden Abend mehr als tausend Gäste ein und aus gingen.
    Wir suchten uns eine kleine Nische auf dem Balkon und bestellten zwei Bier. In dem Club gab es zahlreiche Alkoven und Nischen und private Keller, ausgestattet mit Telefonen, über die die Gäste sich heftig flirtend unterhielten. Wegen dieser Telefone war das Resi bei den Detektiven vom Alex so beliebt. Informanten liebten die Telefone. Die Huren liebten sie ebenfalls. Jeder im Resi liebte die Telefone. Wir hatten kaum in unserer Nische Platz genommen, als das auf unserem Tisch auch schon läutete. Ich nahm den Hörer ab.
    «Gunther?», meldete sich eine Männerstimme. «Ich bin’s, Bruno. Hier unten an der Bar vor der Schnapsbatterie.» Ich warf einen Blick über die Brüstung und sah Stahlecker, der zu mir hoch winkte. Ich erwiderte seinen Gruß.
    «Für einen Mann mit einem Auge siehst du noch verdammt gut aus.»
    «Wir haben diesen Alphonse verknackt. Sag Heinrich meinen Dank.»
    «Bruno sagt, ich soll dir Danke sagen, Heinrich. Sie haben den Zuhälter festgenommen.»
    «Gut», sagte Grund.
    «Auf dem Weg hierher hab ich Isidor getroffen», fuhr Bruno fort. «Er hat gesagt, falls ich dich sehe, soll ich dir ausrichten, dass er dich gleich morgen früh als Erstes sprechen will.»
    Isidor nannten wir den stellvertretenden Polizeipräsidenten, Dr.   Bernhard Weiß.
Der Angriff
nannte ihn auch so. Mit dem

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