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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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spricht.»
    «Trotzdem haben wir die Mädchen befragt», ergänzte der Colonel. «Ich denke nicht, dass es weiterhilft, wenn wir sie erneut befragen. Sie wussten ohnehin nichts Entscheidendes beizutragen.»
    «Kennt sie das andere Mädchen? Grete Wohlauf?», fragte ich.
    «Nein», antwortete von Bader.
    «Ich würde gern das Zimmer Ihrer Tochter sehen, falls das möglich ist.» Ich blickte zur Baronin. Sie war hübscher anzusehen als ihr Mann – und kooperativer obendrein.
    «Selbstverständlich», sagte sie. Dann sah sie ihren Ehemann an. «Würdest du Herrn Hausner Fabiennes Zimmer zeigen, Liebling? Ich könnte es im Augenblick nicht verwinden, dorthinauf zu gehen.»
    Von Bader führte mich zu einem kleinen Aufzug, vor dem ein schmiedeeisernes Gitter war. Daneben führte eine steile, geschwungeneMarmortreppe hinauf in die oberen Stockwerke. Nicht jedes Heim verfügt über einen eigenen Aufzug, und als der Baron meine erhobenen Augenbrauen sah, fühlte er sich zu einer Erklärung bemüßigt.
    «Wir haben den Fahrstuhl wegen meiner Mutter», sagte er. «Sie war die letzten Jahre ihres Lebens an den Rollstuhl gefesselt.» Als wäre der Einbau eines Aufzugs die naheliegende Lösung für jedermann mit gebrechlichen Eltern.
    Wir waren allein mit dem Hund im Aufzug und standen dicht genug beieinander, dass ich sein Eau de Toilette und die Pomade in seinen grauen Haaren riechen konnte, doch er wich meinen Blicken aus. Wann immer er etwas zu mir sagte, schlug er die Augen nieder. Ich redete mir ein, dass er sich Sorgen um seine vermisste Tochter machte, doch ich hatte genügend Vermisstenfälle bearbeitet, um es zu ahnen, wenn ich nicht die ganze Geschichte zu hören bekam.
    «Montalban hat erzählt, Sie seien ein berühmter Ermittler gewesen damals in Berlin, vor dem Krieg. Sowohl bei der Kripo als auch später als Privatdetektiv.»
    Aus seinem Mund klang «berühmter Ermittler» so bedeutungsvoll wie «berühmter Zahnarzt». Vielleicht gab es zwischen den beiden Berufen tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit – manchmal war es so schwierig wie Zähneziehen, seine Mandanten dazu zu bringen, dass sie einem die Wahrheit sagten.
    «Ich hatte meine archimedischen Momente», gestand ich. «Sowohl bei der Kripo als auch auf eigene Faust.»
    «Archimedisch?»
    «‹Heureka! Ich hab’s.›» Ich zuckte die Schultern. «Heute bin ich wohl eher eine Art Handlungsreisender.»
    «Und was verkaufen Sie, wenn ich fragen darf?»
    «Nichts. Absolut gar nichts. Selbst jetzt nicht, in diesen Tagen. Ich tue mein Bestes, um Ihre Tochter zu finden, Herr von Bader, aber ich habe nie Wunder vollbracht. Im Allgemeinen ist meine Arbeitschneller von Erfolg gekrönt, wenn die Menschen mir so weit vertrauen, dass sie mir sämtliche Fakten liefern.»
    Von Bader errötete ein wenig. Vielleicht lag es auch nur daran, dass er versuchte, die Tür des Aufzugkäfigs zu öffnen. Tatsache war, dass er mir immer noch nicht in die Augen sehen konnte. «Was bringt Sie auf den Gedanken, dass Sie nicht sämtliche Fakten kennen?»
    «Ist nur so eine Ahnung», erwiderte ich.
    Er nickte, als dächte er über ein Angebot nach, was ich eigenartig fand angesichts der Tatsache, dass ich ihm genau genommen keines gemacht hatte.
    Wir traten aus dem Käfig in einen mit dicken Läufern ausgelegten Gang. Ganz am Ende des Korridors öffnete von Bader eine Tür und ließ mich eintreten. Ich fand mich in einem hübschen, sehr ordentlichen Mädchenzimmer wieder. Die Tapete hatte ein rotes Rosenmuster. Der emaillierte Eisenrahmen des Bettes war mit kleinen Blumen verziert. Über dem Bett hingen mehrere chinesische Fächer in einem Bilderrahmen. Auf dem großen Tisch stand ein gleichermaßen großer wie leerer orientalischer Vogelkäfig. Daneben, auf einem kleineren Tischchen, war ein Schachspiel aufgebaut, das offenbar noch nicht beendet worden war. Ich überflog die Stellungen der Steine flüchtig. Egal, ob sie Schwarz oder Weiß spielte, sie schien ein kluges Ding zu sein. Es lagen ein paar Bücher herum und ein paar Stofftiere, und an einer Wand stand eine Schubladenkommode. Ich öffnete eine Lade.
    «Darf ich?», fragte ich den Vater.
    «Nur zu», antwortete von Bader. «Ich schätze, Sie machen lediglich Ihre Arbeit.»
    «Ich suche jedenfalls sicher nicht nach ihrer Unterwäsche.» Ich hoffte, ihm auf diese Weise eine Bemerkung zu entlocken. Schließlich hatte er vorhin nicht abgestritten, dass er Informationen zurückhielt. Ich drehte ein paar Socken um und sah

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