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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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ich schließlich die üblichen Plattheiten über die Vernehmung bekannter Sexualstraftäter aufzählte. Ein Reporter des
Angriff
, Fritz Allgeier, ein schielendes Individuum mit grauem Bart und Armen, die länger wirkten als die Beine, kaum genetischesHerrenrasse-Material, bemerkte, dass das deutsche Volk zu erfahren verlange, warum die besagten Sexualstraftäter überhaupt frei auf unseren Straßen herumlaufen durften.
    Nach der Konferenz musste ich Weiß zustimmen, dass meine Antwort vielleicht ein wenig diplomatischer hätte ausfallen dürfen.
    «Soweit ich weiß, Herr Allgeier, gibt es in Deutschland ein funktionierendes Strafrecht, nach dem Menschen vor Gericht gestellt, falls schuldig zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden und in der Gesellschaft frei leben dürfen, wenn sie ihre Schuld abbezahlt haben.»
    «Vielleicht sollten wir sie nicht mehr laufenlassen!», ereiferte sich Allgeier. «Vielleicht wäre es das Beste für das deutsche Volk, wenn diese sogenannten bekannten Straftäter so schnell wie möglich wieder ins Gefängnis gesteckt würden. Dann würde diese Art von Lustmord vielleicht nicht wieder passieren.»
    «Vielleicht. Aber es ist nicht an mir, das zu sagen. Auf der anderen Seite würde ich gern wissen, wie Sie auf den Gedanken kommen, jemand wie Sie könnte für das deutsche Volk sprechen, Allgeier? Sie sind ein ehemaliger Zocker aus Moabit. Sie haben die Leute mit Hütchenspielen übers Ohr gehauen. Das deutsche Volk könnte sich auch fragen, wie es eigentlich kommt, dass Sie plötzlich als Journalist arbeiten.»
    Ein paar Reporter im Raum lachten. Vielleicht wäre meine Bemerkung auch nicht weiter schlimm gewesen, hätte ich es dabei belassen. Doch, wie es so war, fand ich gerade Gefallen an dem Thema.
    In Deutschland hatte es schon immer die Todesstrafe für Mord gegeben, doch die Zeitungen hatten eine Zeitlang Kampagnen gegen die Guillotine geführt. Seit einer Weile jedoch waren immer mehr Menschen in diesem Land empfänglich für die nationalsozialistischen Ideen, weshalb kaum noch eine Zeitung die Abschaffung der Todesstrafe forderte – mit dem Ergebnis, dass der staatliche Henker, Johann Reichhart, seine Arbeit wiederaufgenommen hatte. Einer seiner Kunden war der berüchtigte Serienmörder Fritz Haarmanngewesen. Viele Polizisten, ich selbst eingeschlossen, hielten nichts von der Guillotine. Umso mehr, als der leitende Ermittlungsbeamte eines Falles verpflichtet war, den Exekutionen der von ihm überführten und gerichtlich verurteilten Täter beizuwohnen.
    «Es ist eine Tatsache, dass wir bei Ermittlungen Informationen von den sogenannten bekannten Tätern erhalten», fuhr ich fort. «Selbst Mörder, die mit lebenslangen Haftstrafen im Gefängnis saßen, waren bereit, uns zu helfen. Allerdings natürlich nur, wenn wir sie nicht hinrichten. Es ist schwierig, einen Mann zum Reden zu bringen, wenn man ihm erst den Kopf abgeschlagen hat.»
    Weiß erhob sich und verkündete geduldig lächelnd, dass die Pressekonferenz zu Ende wäre. Auf dem Weg nach draußen schwieg er und lächelte mich nur traurig an. Was schlimmer war als eine ordentliche Abreibung. «Gute Arbeit, Bernie», sagte Gennat. «Dafür werden sie geteert und gefedert, Junge.»
    «Nur die faschistischen Zeitungen sind nicht meiner Meinung.»
    «Sämtliche Zeitungen sind prinzipiell faschistisch, Bernie. In jedem Land der Welt. Sämtliche Herausgeber sind Diktatoren, und jeglicher Journalismus ist autoritär. Deswegen legen die Leute ihre Vogelkäfige mit Zeitungspapier aus.»
    Gennat hatte recht, wie üblich. Allein
Tempo
, die Berliner Abendzeitung, schrieb einen positiven Artikel über mich. Sie zeigten ein Bild von mir, auf dem ich aussah wie Luis Trenker in
Der Kampf ums Matterhorn
. Manfred George, der Herausgeber von
Tempo
, schrieb einen Leitartikel, in dem er mich als «einen aufrechten Polizisten Berlins» bezeichnete. Vielleicht hatte ihm meine neue Krawatte gefallen.
    Die restlichen nationalen Zeitungen schlichen wie die Katze um den heißen Brei: Sie wagten nicht zu schreiben, was sie wirklich dachten, aus Angst, dass ihre Leser anderer Meinung sein könnten. Den
Angriff
las ich erst gar nicht. Warum auch? Hans-Joachim Brandt vom
Völkischen Beobachter
bezeichnete mich als einen «liberalen, linken Heini». Wahrscheinlich hatte er sogar recht.

SIEBEN
BUENOS AIRES
1950
    Die von Baders lebten in einem ruhigen Wohngebiet der Barrio Norte, genannt Castellano, wo «Leute mit Geld» wohnten. Die Calle Florida, das

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