Das letzte Experiment
gefühlt auf den Straßen der argentinischen Hauptstadt.
«Wie praktisch für den Präsidenten, dass das Hauptquartier seiner Geheimpolizei gleich in der Casa Rosada untergebracht ist», sagte ich, als das charakteristische rosafarbene Gebäude wieder in Sicht kam.
«Es hat gewisse Vorteile. Den Chef kennen Sie ja schon. Der junge Mann im Nadelstreifenanzug, der bei uns war, als Sie Perón vorgestellt wurden? Das war er, Rodolfo Freude. Er ist immer in der Nähe.»
«Freude? Von Bader hat einen Bankier namens Ludwig Freude erwähnt. Sind die beiden verwandt?»
«Ludwig Freude ist Rodolfos Vater.»
«Hat er deshalb diesen Posten?»
«Es ist eine längere Geschichte, aber es läuft darauf hinaus, ja.»
«War er auch bei der Abwehr?»
«Rodolfo? Nein. Aber Rodolfos Stellvertreter war bei der Abwehr, Werner Koennecke. Werner ist mit Rodolfos Schwester Lily verheiratet.»
«Klingt alles sehr nachbarschaftlich und heimelig.»
«So ist Buenos Aires. Genau wie der Friedhof von Recoleta. Man muss jemanden kennen, um reinzukommen.»
«Wen kennen Sie, Colonel?»
«Rodolfo kennt einige wichtige Leute, keine Frage. Aber ich kenne Leute, die
wirklich
wichtig sind. Ich kenne eine italienische Frau, die die aufregendste Hure in der ganzen Stadt ist. Ich kenne einen Koch, der die beste Pasta in ganz Südamerika macht. Und ich kenne einen Mann, der einen anderen tötet, sodass es wie Selbstmord aussieht. Das sind die wirklich wichtigen Dinge, die man in unserem Job wissen muss, Herr Hausner – meinen Sie nicht auch?»
«Ich habe nur selten das Bedürfnis, jemanden ermorden zu lassen, Colonel. Und falls doch, würde ich es wahrscheinlich selbst tun, aber ich schätze, ich bin in dieser Hinsicht etwas penibel. Abgesehen davon bin ich zu alt, um mich noch von irgendetwas sonderlich beeindrucken zu lassen. Eine italienische Frau vielleicht, eine Italienerin könnte mich tatsächlich noch beeindrucken. Ich mochte die Italienerinnen schon immer. Und das, obwohl ich noch nie in Italien war.»
ACHT
BERLIN
1932
Abteilung IV der ordentlichen Berliner Polizei war Abteilung Ia, der politischen Polizei, nicht untergeordnet. Abteilung Ia war zuständig für sämtliche politischen Straftaten. Ihre Aufgabe bestand darin, politischer Gewalt gleich welcher Richtung diskret zuvorzukommen. Angesichts der jüngsten Ausschreitungen leuchtete ein, wieso die Weimarer Regierung es für nötig erachtet hatte, eine solche Polizei zu gründen. In der Praxis jedoch war die politische Partei sowohl bei der Bevölkerung als auch bei der regulären Polizei wenig gelitten, und Abteilung Ia war zudem höchst erfolglos, die Zahl politischer Straftaten nahm eher zu. Der Großteil aller untersuchten Morde war politisch motiviert. Ein S A-Mann erschoss einen Kommunisten oder umgekehrt. Viele fragten sich, warum es Abteilung Ia überhaupt noch gab. Republikaner betrachteten die Abteilung als undemokratisch, sie sahen außerdem die Gefahr, dass eine skrupellose Regierung die politische Polizei für ihre Zwecke missbrauchen könnte. Deshalb vereinbarte Professor Hans Illmann, der Gerichtsmediziner, der mit dem Fall Schwarz beauftragt war, ein Treffen in seinen eigenen Räumen im Institut für Polizeiwissenschaften in Charlottenburg. Die Abteilungen IV und Ia mochten auf unterschiedlichen Etagen in dem gewaltigen Rotklinkerbau am Alex untergebracht sein – für den führenden Kopf der Gerichtsmedizin, der zudem über ein ausgeprägtes politisches Empfinden verfügte, war das immer noch zu nah beieinander.
Illmann sah gedankenverloren aus dem Erkerfenster in den Garten davor, der so gar nicht aussah, als hätte er irgendetwas mit derPolizei oder mit Forensik zu tun. Sowohl der Garten als auch die Villa stammten aus einer vornehmeren Zeit, als Wissenschaftler noch mehr Haare auf den Backen hatten als eine Meerkatze. Ich verstand, warum der Professor sich lieber hier mit mir traf als am Alex. Obwohl ja im Keller ein paar Leichen lagerten, mutete die Villa eher wie ein exklusiver Alterswohnsitz an und nicht wie ein gerichtsmedizinisches Institut. Der Professor war hager und hatte eine randlose Brille sowie einen kleinen holländischen Kinnbart. Er sah ein bisschen wie ein Künstler aus. Toulouse-Lautrec in seiner besten Zeit.
Wir gaben uns die Hand, und ich deutete mit dem Kinn auf eine Ausgabe des
Angriff
, die auf seinem Schreibtisch lag. «Was denn, werden Sie mir jetzt auch zum Nazi? So einen Mist zu lesen!»
«Würden mehr Leute diesen Mist lesen, würden
Weitere Kostenlose Bücher