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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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wirtschaftliche Herz der Barrio Norte, schien nur deswegen zu existieren, damit diese «Leute mit Geld» nicht zu weit fahren mussten, um es auszugeben. Das Haus auf der Arenales war im besten französischen Stil des achtzehnten Jahrhunderts errichtet und sah eher nach einem Grandhotel aus als nach einem Zuhause. Die Fassade war überfrachtet mit Halbreliefs ionischer Säulen, zwischen denen sich hohe Fenster befanden. Selbst die Klimaanlagen wirkten elegant und passten zum urbanen bourbonischen Stil. Im Innern ging es genauso weiter, französisch mit hohen Decken und Pilastern, Marmorkaminen, Spiegeln in vergoldeten Rahmen, einer Menge Mobiliar aus dem achtzehnten Jahrhundert und kostspieliges Kunsthandwerk.
    Die von Baders und ihr kleines Hündchen empfingen den Colonel und mich sitzend auf einem üppig gepolsterten roten Plüschsofa. Sie in der einen Ecke, er in der anderen. Sie trugen ihre besten Kleider, doch wahrscheinlich hätten sie die gleichen Sachen auch zur Gartenarbeit getragen – vorausgesetzt, sie wussten überhaupt, wo die Baumschere und die Pflanzkellen aufbewahrt wurden. Wie sie dort saßen, hätte ich den vornehmen Kopf der Baronin sanft in Richtung ihres Gatten drehen mögen, bevor ich meine Pinsel nähme und mich an ihr Porträt machte. Sie war wie eine Statue, ausgesprochen schön mit einer glatten Haut, perfekten weißen Zähnen, Haaren wie gesponnenem Gold und einem Hals wie die ältereSchwester der Königin Nofretete. Er war schlank und nichtssagend und trug eine Brille, und der Hund mochte, im Gegensatz zu mir, ihn offenbar lieber als sie. Sie hielt ein Taschentuch und sah aus, als hätte sie geweint. Ganz so, wie verängstigte Mütter sich eben verhalten. Er hielt ein Zigarillo und sah aus, als hätte er bis eben Geld verdient. Eine Menge Geld.
    Colonel Montalban stellte mich den beiden vor. Wir alle redeten deutsch, als fände unser Treffen in irgendeiner schicken Villa in Dahlem statt. Ich sagte ein paar mitfühlende Worte, und sie erzählten, was geschehen war. Fabienne war irgendwo zwischen Arenales und dem Friedhof an der Recoleta verschwunden, weniger als einen Kilometer vom Heim der Familie entfernt. Sie ging häufig allein zum Friedhof, um Blumen vor der Familiengruft der von Baders abzulegen. Wie es aussah, hatten sich Fabienne und ihr dort begrabener Großvater sehr gut verstanden. Ich ließ mir ein paar Bilder von dem Mädchen geben. Fabienne sah aus wie jedes andere vierzehnjährige blonde, ausnehmend hübsche und reiche Mädchen auch. Auf einer der Fotografien saß sie auf einem weißen Pony. Ein Gaucho hielt das Zaumzeug, und hinter dem idyllischen Trio stand ein Ranchhaus vor einem Eukalyptuswäldchen.
    «Das ist unser Wochenendhaus in Pilar», erklärte der Baron. «Das liegt im Norden von Buenos Aires.»
    «Sehr hübsch», sagte ich und fragte mich, was sie wohl machten, wenn sie einmal Urlaub von den Anstrengungen des Wohlhabendseins nötig hatten.
    «Ja. Fabienne hat das Ranchhaus geliebt», sagte ihre Mutter.
    «Ich nehme an, Sie haben dort bereits nach Ihrer Tochter gesucht und auch auf Ihren übrigen Anwesen?»
    «Ja», sagte der Baron. «Selbstverständlich.» Er seufzte, halb ungeduldig, halb besorgt. «Wir haben nur das Wochenendhaus, Herr Hausner. Ich besitze keine weiteren Häuser in Argentinien.» Er schüttelte den Kopf und nahm einen Zug von seinem Zigarillo. «Wie Sie das sagen, klingt es, als wäre ich ein stinkender plutokratischerJude.» Zu Montalban gewandt sagte er: «Habe ich recht, Colonel?»
    «Es gibt keine Juden in diesem Teil von Buenos Aires», entgegnete Montalban.
    Von Baders Ehefrau war bei der Bemerkung ihres Mannes zusammengezuckt, sie schien Anstoß daran zu nehmen, noch ein Grund, warum ich sie sympathischer fand als ihn. Sie schlug die langen Beine übereinander und wandte den Blick für einen Moment zur Seite. Ihre Beine waren mir ebenfalls sympathisch.
    «Es sieht ihr überhaupt nicht ähnlich», sagte sie, schnäuzte elegant in ein kleines Taschentuch, das sie zurück in den Ärmel ihres Kleids steckte, und lächelte tapfer, wofür ich sie bewunderte. «Sie hat so etwas noch nie gemacht.»
    «Was ist mit ihren Freundinnen?», fragte ich.
    «Fabienne ist nicht so wie die meisten anderen jungen Mädchen ihres Alters, Herr Hausner», sagte von Bader. «Sie ist viel reifer als ihre Altersgenossinnen, sehr viel kultivierter. Ich bezweifle, dass sie irgendeine sogenannte Freundin hat, mit der sie über vertrauliche Dinge

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