Das letzte Experiment
Willen nicht ein, wie ich sonst an Dr. Gerhard Domagk von der Urologischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses Friedrichshain herankommen sollte. Illmann irrte sich selten in diesen Dingen. Es war höchst unwahrscheinlich, dass irgendein Arzt mit den sensiblen Informationen herausrücken würde, die ich brauchte.
Es sei denn natürlich, er meinte, seinen Arbeitgeber vor sich zu haben.
Carl Mirow hatte sich einverstanden erklärt, mich zum Städtischen Krankenhaus zu fahren. Der riesige Mercedes hatte mächtig Eindruck gemacht, als wir über das Gelände der Klinik gefahren waren, insbesondere, als ich eine Scheibe herunterkurbelte und eine Krankenschwester nach dem Weg zur Urologie fragte. Carl reagierte anschließend ein wenig ungehalten. «Angenommen, irgendjemand sieht das Kennzeichen und denkt, Herr Adlon hätte sich einen Schanker zugezogen!»
«Herr Adlon» war Louis Adlon, der Besitzer des Hotels. Er war Mitte sechzig mit schütterem weißem Haar und einem sehr gepflegten weißen Schnurrbart. «Sehe ich etwa aus wie Herr Adlon?», entgegnete ich.
«Nein.»
«Abgesehen davon – wenn du einen Schanker hättest, würdest du mit einem so auffälligen Wagen in die Klinik fahren? Oder eher laufen, mit hochgeschlagenem Kragen und tief in die Stirn gezogenem Hut?»
Wir hielten vor dem Rotklinkerbau, in dem die Urologische Klinik untergebracht war. Carl sprang aus dem Wagen und hielt mir die Tür auf. In seiner Chauffeurslivree sah er aus wie mein alter Kompaniechef (möglicherweise der wahre Grund, warum ich ihn 1922 nicht wegen des Verkehrsdelikts verknackt hatte. Ich war schon immer ein wenig sentimental gewesen in dieser Hinsicht).
Ich betrat die Klinik durch die doppelten Milchglastüren. Die Halle dahinter war hell und kühl, und der Linoleumboden war so dick mit Politur eingerieben, dass die Schuhe laut quietschten und man unwillkürlich auf Zehenspitzen ging, um nur ja keine Streifen zu hinterlassen. Ich begab mich zum Empfangsschalter, wo jede gemurmelte Bitte um ärztliche Hilfe wegen der hohen Decke widerhallen musste wie ein Soufflieren im Theater. Der starke Geruch nach Äther hing in der Luft. Die strohblonde Schwester hinter dem Schalter sah aus, als gurgelte sie mit dem Zeug. Ich legte die Visitenkarte von Dr. Duisberg vor sie hin und verkündete, dass ich Dr. Domagk zu sprechen wünschte.
«Er ist nicht da», sagte sie.
«Ich nehme an, er ist in Leverkusen?»
«Nein, er ist in Wuppertal.»
Noch so eine Stadt, von der ich noch nie etwas gehört hatte. Ich erkannte das Land kaum wieder, in dem ich lebte.
«Ich nehme an, das ist auch so eine neue Stadt.»
«Woher soll ich das wissen?», entgegnete sie schnippisch.
«Wer ist der leitende Arzt während Dr. Domagks Abwesenheit?»
«Dr. Kassner.»
«Dann ist Dr. Kassner die Person, die ich zu sprechen wünsche.»
«Haben Sie einen Termin?»
Ich lächelte und gab mich gespielt wichtig und geduldig. «Sie werden herausfinden, dass ich keinen benötige, sobald Sie Dr. Kassner diese Visitenkarte zeigen. Ich finanziere sämtliche Forschungen in dieser Klinik. Deswegen schlage ich vor, Sie sputen sich und sagen Dr. Kassner flugs, dass ich ihn zu sprechen wünsche – es sei denn, Sie möchten dem Heer der sechs Millionen Arbeitslosen beitreten.»
Die Schwester errötete, erhob sich, nahm die Visitenkarte des Herrn Dr. Duisberg und verschwand mit quietschenden Schritten durch eine Schwingtür.
Eine Minute verging, und dann betrat ein blasser, verlegen dreinblickender Mann durch den Haupteingang die Halle. Er bewegte sich langsam wie jemand mit einem kranken Bein. Sein Blick war unverwandt auf das Linoleum gerichtet, als sei er persönlich daran schuld, dass seine Schritte diese quietschenden Geräusche machten. Am Empfangsschalter blieb er stehen und musterte mich mit einem unsicheren Seitenblick, während er sich wahrscheinlich fragte, ob ich ein Arzt war. Ich lächelte.
«Schöner Tag heute, nicht wahr?», sagte ich unbekümmert.
Dann erschien ein Mann in einem weißen Kittel in der Halle. Er marschierte forschen Schrittes auf mich zu wie ein Gründungsmitglied der Wandervögel, eine Hand ausgestreckt, in der anderen die Visitenkarte von Dr. Duisberg. Er war groß und kahlköpfig und sah ein bisschen militärisch aus. Unter dem weißen Kittel trug er mehr oder weniger das Gleiche wie ich, was ihn als einen qualifizierten Fachmann und eine Persönlichkeit von gesellschaftlichem Rang auswies.
«Herr Dr.
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