Das letzte Experiment
hätte gern ein Päckchen Reemtsmas, eine
Neue Berliner
, eine
Tempo
und eine
Woche
», sagte ich und zückte meine Marke. «Wir haben eine Anzeige erhalten, hier in der Gegend seien Schüsse abgefeuert worden», sagte ich. «Haben Sie zufällig irgendwas gehört?»
Der Verkäufer, ein Bursche im Anzug mit einem Hut auf dem Kopf und einem kleinen Bärtchen, das aussah wie das von Adolf Hitler, schüttelte den Kopf. «Wahrscheinlich eine Fehlzündung oder so. Allerdings bin ich schon seit heute Morgen hier, und ich habe nichts dergleichen gehört.»
«Ich dachte mir so was, als ich mich umgesehen habe», erwiderte ich. «Trotzdem, wir müssen diesen Dingen nachgehen.»
«Es hat noch nie irgendwelche Scherereien in dieser Gegend gegeben», sagte der Kioskinhaber. «Obwohl es mich nicht wundern würde.»
«Wie meinen Sie das?»
Er zeigte über den Reichskanzlerplatz zu der Stelle, wo der Kaiserdamm einmündete. «Sehen Sie den Wagen dort?» Ein dunkelgrüner Mercedes parkte direkt vor der Hausnummer drei.
«Ja.»
«In diesem Wagen sitzen vier S A-Männer », sagte er. Und indem er in die andere Richtung zur Ahornallee zeigte, fügte er hinzu: «Und dort hinten parkt ein ganzer Laster voll mit S A-Leuten .»
«Woher wissen Sie, dass es S A-Leute sind?»
«Haben Sie es noch nicht gehört? Das Verbot der S A-Uniformen wurde aufgehoben.»
«Ah, richtig, seit heute, nicht wahr? Ich bin mir ein schöner Polizist. Es ist mir nicht aufgefallen. Und wer wohnt dort drüben? Ernst Röhm vielleicht?» Ernst Röhm war der Führer der SA.
«Nein, obwohl er gelegentlich zu Besuch kommt. Ich hab ihn selbst reingehen sehen. In die Erdgeschosswohnung an der Ecke von Nummer drei. Besitzerin Frau Magda Quandt.»
«Wer?»
Der Verkäufer grinste. «Für einen Polizisten, der so viele Zeitungen kauft wie Sie, wissen Sie wirklich verdammt wenig.»
«Wissen Sie, ich sehe mir nur die Bilder an. Erzählen Sie einfach drauflos.» Ich schob ihm einen Heiermann hin. «Und wenn Sie schon dabei sind, behalten Sie den Rest.»
«Magda Quandt. Sie ist seit letzten Dezember mit Joseph Goebbels verheiratet. Ich sehe ihn jeden Morgen. Kommt zu mir und kauft sämtliche Zeitungen.»
«Verschafft dem Klumpfuß ein wenig Bewegung, denke ich.»
«So schlimm humpelt er gar nicht.»
«Wenn Sie es sagen.» Ich zuckte die Schultern. «Ich verstehe jedenfalls, warum er sie geheiratet hat. Hübsches Haus, in dem die beiden wohnen. Ich hätte auch nichts dagegen, in so einer Wohnung zu wohnen.» Ich schüttelte den Kopf. «Aber ich kapier einfach nicht, warum sie einen solchen Zwerg wie ihn geheiratet hat.»
Ich legte die Zeitungen in den Wagen, überquerte den Platz und warf einen Seitenblick in den Wagen, der vor Nummer drei parkte. Der Kioskverkäufer hatte recht gehabt – die Nazi-Braunhemden beäugten mich misstrauisch aus dem Auto, als ich vorbeiging. Abgesehenvon den Clowns, die im Zirkus einmal in einem alten Ford Model T hatte herumalbern sehen, war mir noch nie so viel Dummheit auf so kleinem Raum begegnet. Jetzt erinnerte ich mich auch wieder, warum die Adresse mich in Kassners Büro hatte aufmerken lassen. Eines der Kripo-Teams am Alex war gezwungen gewesen, das Alibi eines S A-Mannes zu überprüfen, der einen oder zwei Monate zuvor bei Goebbels gewesen sein wollte.
Das Mietshaus hatte selbstverständlich einen eigenen Portier. Sämtliche schicken Mietshäuser in der Weststadt hatten Portiers. Wahrscheinlich gab es außerdem irgendwo in der Lobby einen bewaffneten S A-Mann , der dem Portier Gesellschaft leistete. Um sicherzustellen, dass Goebbels ausreichend geschützt war. Er hatte es bestimmt nötig. Die Kommunisten hatten bereits mehrere Anschläge auf Hitler unternommen, und ich zweifelte nicht daran, dass Goebbels ebenfalls auf ihrer Liste stand. Ich hätte selbst nichts dagegen gehabt, dem kleinen Satyr eins auszuwischen.
Natürlich kannte ich die Gerüchte, wie jeder andere auch. Dass er trotz seines Klumpfußes und seiner geringen Körpergröße ein richtiger Schürzenjäger war. Beim Alex hieß es, dass Goebbels vielleicht klein und hässlich sei, dafür jedoch ansonsten recht prächtig ausgestattet wäre. Goebbels wäre das, was die Berliner Stricher einen Breslauer genannt hätten, nach der gleichnamigen dicken Wurst.
Sowenig ich ihn mochte – es fiel mir dennoch schwer, mir Goebbels dabei vorzustellen, wie er unbekümmert das Risiko einging, nach Friedrichshain in die urologische Klinik zu humpeln. Es sei denn
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