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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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des Landes verwiesen wird, nichtsdestotrotz gibt es bei einigen Leuten in der Regierung die Sorge, dass manche von uns sich größerer Verbrechen schuldig gemacht haben, als ursprünglich vermutet.» Ich zuckte die Schultern und sah Geller an. «Ich meine, es ist eine Sache, Männer in der Hitze des Gefechts zu töten. Und es ist eine ganz andere, Vergnügen beim Ermorden von unschuldigen Frauen und Kindern zu empfinden. Würden Sie mir nicht zustimmen?»
    Eichmann zuckte die Schultern. «Ich weiß nicht, ob sie unschuldig waren. Wir haben einen Feind exterminiert. Ich für meinen Teil habe die Juden zwar nicht gehasst, aber ich bereue nichts von dem, was ich getan habe. Ich habe keine Verbrechen begangen. Nicht einmal in der Hitze des Gefechts, wie Sie es nennen. Ich war wenig mehr als ein normaler Beamter. Ein Bürokrat, der lediglich Befehle ausgeführt hat. Das war der Kodex, nach dem wir alle gehandelt haben bei der SS. Gehorsam. Disziplin. Blut und Ehre. Wenn ich etwas bedauere, dann die Tatsache, dass wir nicht genügend Zeit hatten, um die Arbeit zu vollenden. Jeden Juden in Europa zu exterminieren.»
    Es war das erste Mal, dass ich Eichmann über die Judenvernichtung reden hörte. Und weil ich mehr darüber hören wollte, versuchte ich ihn zu ködern.
    «Ich bin froh, dass Sie Blut und Ehre erwähnen», sagte ich. «Weil ich nämlich das Gefühl habe, einige von uns haben den Namen der SS stark in den Dreck gezogen.»
    «Ganz recht», sagte Geller.
    «Einige von uns sind weit über das hinausgegangen, was ihre Befehle besagten. Sie haben aus Lust und Laune getötet. Unmenschliche medizinische Experimente durchgeführt.»
    «Vieles davon wurde von den Russen stark übertrieben», beharrte Eichmann. «Lügen, die die Kommunisten erzählen, um ihre eigenen Verbrechen an den Deutschen zu rechtfertigen. Damit der Rest der Welt kein Mitleid mit den Deutschen verspürt. Und um den Sowjets einen Blankoscheck zu geben, mit den Deutschen zu verfahren, wie auch immer ihnen beliebt.»
    «Es waren nicht alles Lügen», sagte ich. «Ich fürchte, eine Menge von dem, was erzählt wird, entspricht der Wahrheit, Riccardo. Und selbst wenn Sie es nicht glauben, wenn nur ein Teil davon zutrifft, bereitet das der Regierung schon Kopfzerbrechen. Einzig aus diesem Grund wurde ich damit beauftragt, meine Ermittlungen durchzuführen. Sehen Sie, Riccardo, ich bin nicht hinter Ihnen her. Doch ich fürchte, ich kann einige andere S S-Leute nicht als alte Kameraden betrachten.»
    «Wir waren im Krieg», sagte Eichmann. «Wir haben einen Feind getötet, der uns töten wollte. So etwas kann manchmal brutal werden. Auf einer gewissen Ebene sind die Kosten an Menschenleben immateriell. Wir mussten sicherstellen, dass die Aufgabe erfüllt wurde. Reibungslose Deportationen. Das war meine Spezialität, und glauben Sie mir, ich habe versucht, die Dinge so human zu gestalten, wie ich nur konnte. Gas galt als humane Alternative zu Massenerschießungen. Ja, es mag einige gegeben haben, die vielleicht zu weit gegangen sind, aber es ist auch immer das eine oder andere schlechte Gerstenkorn im Bier. Das ist unausweichlich bei jeder Organisation. Insbesondere bei einer Organisation, die so viel erreicht hat wie unsere. Noch dazu während eines Krieges. Fünf Millionen.Können Sie sich den Maßstab vorstellen? Nein, ich denke nicht, keiner von Ihnen. Fünf Millionen Juden. Liquidiert, in weniger als zwei Jahren. Und Sie kritteln an der Moral einiger weniger schlechter Äpfel herum.»
    «Nicht ich», sagte ich. «Die argentinische Regierung.»
    «Was? Sie wollen einen Namen, ist es das? Als Gegenleistung für mein Führungszeugnis? Sie wollen, dass ich den Judas spiele für Sie?»
    «Das ist es so ungefähr, ja», sagte ich.
    «Ich mochte Sie noch nie, Gunther», sagte Eichmann angewidert und rümpfte die Nase. Er riss die Zigarettenstange auf und steckte sich einen Glimmstängel an wie jemand, der schon zu lange nichts Vernünftiges mehr zu rauchen gehabt hat. Dann setzte er sich an den kahlen Holztisch und betrachtete den Rauch, der von der Glutspitze aufstieg, als suchte er darin göttlichen Rat für das, was er als Nächstes sagen sollte.
    «Aber vielleicht gibt es tatsächlich so einen Mann, wie Sie ihn suchen», sagte er vorsichtig. «Allerdings will ich zuerst Ihr Ehrenwort. Sie werden ihm niemals verraten, dass Sie seinen Namen von mir haben.»
    «Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort.»
    «Dieser Mann und ich haben uns rein zufällig in einem Café in

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