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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Buenos Aires kennengelernt. Kurze Zeit nachdem unser Schiff in Südamerika ankam. Im ABC Café. Er erzählte mir, dass er eine Glückssträhne hatte, seit er hergekommen ist. Eine verdammte Glückssträhne, jawohl.» Eichmann grinste dünn. «Er bot mir Geld. Mir. Einem Obersturmbannführer der SS. Dabei war er nur ein einfacher Hauptsturmführer. Soll man das glauben? So ein selbstherrliches Schwein. Er lebt in Saus und Braus, umgeben von Luxus und Familiengeld. Und ich muss mich hier verstecken, in diesem gottvergessenen Dreckskaff.» Eichmann nahm einen nahezu tödlich tiefen Zug von seiner Zigarette, schluckte und schüttelte anschließend den Kopf. «Er war ein grausamer Mensch. Er ist noch immer einer.Ich weiß nicht, ob er ruhig schlafen kann. Ich könnte es nicht. Nicht, wenn ich in seiner Haut steckte. Ich habe gesehen, was er getan hat. Einmal. Vor langer, langer Zeit. Es scheint so lange her zu sein, dass ich damals noch ein Kind gewesen sein muss. Vielleicht war ich das auch, in gewisser Hinsicht. Doch ich habe es nie vergessen, niemals. Niemand, der es gesehen hatte, konnte es vergessen. Nicht ein Mensch. Ich habe ihn 1942 kennengelernt, in Berlin. Wie ich Berlin vermisse! Und dann bin ich ihm erneut begegnet, 1943.   In Auschwitz.» Er grinste bitter. «Ich vermisse Auschwitz keine Sekunde.»
    «Dieser Hauptsturmführer», hakte ich nach. «Wie lautet sein Name?»
    «Er nennt sich Gregor», sagte Eichmann. «Helmut Gregor.»

ZWÖLF
BERLIN
1932
    Ich stieg aus dem Zug, ging zum Ende des Bahnsteigs, gab meinen Fahrschein zur Kontrolle ab und blickte mich suchend nach Paul Herzefelde um. Er war nirgendwo zu sehen. Also kaufte ich mir Zigaretten und eine Münchner Zeitung und setzte mich auf eine Bank in der Nähe des Bahnsteigs, auf dem ich aus Berlin angekommen war, um auf ihn zu warten. Ich las nicht lange in der Zeitung. Bis zur Wahl waren es nur noch zwei Wochen, und das Blatt war voll davon, wie die Nazis die Wahl gewinnen würden. Der gesamte Bahnhof war mit Hitlers strengem, missbilligend dreinblickenden Gesicht plakatiert. Nach einer halben Stunde konnte ich es nicht mehr länger ertragen. Ich stopfte die Zeitung in den Papierkorb und ging nach draußen an die frische Luft.
    Der Bahnhof lag im Westen der Münchner Innenstadt. Bis zum Polizeipräsidium brauchte man zu Fuß zehn Minuten durch die Ettstraße zwischen der Kirche St.   Michael und der Frauenkirche hindurch. Das Präsidium war ein jüngeres, modernes und hübsches Gebäude, das an der Stelle eines ehemaligen Klosters errichtet worden war. Vor dem Haupteingang saßen ein paar steinerne Löwen. Drinnen begegnete ich nur Ratten.
    Der Wachtmeister vom Dienst am Empfangsschalter war so dick wie eine Abrissbirne und ungefähr genauso hilfsbereit. Er hatte einen Kahlkopf und einen gewachsten Schnurrbart und erinnerte an einen kleinen Deutschlandadler. Jedes Mal, wenn er sich bewegte, knarrte der Ledergürtel um seinen dicken Bauch wie ein Schiff, das sich gegen seine Trossen stemmt. In regelmäßigen Zeitabständennahm er die Hand vor den Mund und rülpste. Man konnte an der Eingangstür riechen, was er gefrühstückt hatte.
    Ich tippte mir höflich an den Hut und zeigte ihm meine Dienstmarke.
    «Guten Morgen», sagte ich.
    «Guten Morgen.»
    «Ich bin Kommissar Gunther aus Berlin, vom Alexanderplatz. Ich bin mit Kommissar Herzefelde verabredet. Ich bin eben erst mit dem Zug angekommen und dachte eigentlich, er würde mich am Bahnhof abholen.»
    «Dachten Sie?» Das sagte er in einem Tonfall, der in mir den Wunsch weckte, ihm eins auf die Nase zu geben. Anscheinend war das die Art, wie man in München miteinander umging.
    «Ja», sagte ich geduldig. «Aber weil er nicht da war, nahm ich an, dass er aufgehalten wurde und dass ich vielleicht besser hierher komme und mich gleich hier mit ihm treffe.»
    «Gesprochen wie ein wahrer Berliner Detektiv», sagte er ohne jede Spur von Humor.
    Ich nickte und wartete geduldig, ob er nicht vielleicht doch noch ein paar gute Manieren an den Tag legen würde. Meine Hoffnung erfüllte sich nicht.
    «Okay, ersparen Sie mir die Schmeicheleien und benachrichtigen Sie Kommissar Herzefelde, dass ich angekommen bin.»
    Der Wachtmeister deutete auf eine polierte Holzbank neben der Eingangstür. «Setzen Sie sich», sagte er kühl. «Herr Kommissar. Ich komme gleich zu Ihnen.»
    Ich ging zu der Bank und nahm darauf Platz. «Ich werde Ihr Verhalten erwähnen, sobald ich Ihren Vorgesetzten sehe», sagte ich.
    «Tun

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