Das letzte Experiment
einiges über sie rausfinden für dich, wenn ich dort arbeite, aber wie gesagt, das dauert noch eine Weile.» Er runzelte die Stirn. «Wer noch? Hmmm. Wolf Probst. Er ist ein skrupelloser Charakter, würde ich sagen. Wäre keine schlechte Idee, ihn genauer unter die Lupe zu nehmen.»
«Ich suche ganz speziell nach jemandem, der seit seiner Ankunft in Argentinien wieder gemordet haben könnte.»
«Jetzt verstehe ich. Nimm einen Dieb, um einen Dieb zu schnappen, wie?»
«Etwas in der Art», sagte ich. «Der Kerl, nach dem ich suche, empfindet Befriedigung beim Quälen und Töten.»
Geller schüttelte den Kopf. «Da fällt mir auf Anhieb niemand ein, fürchte ich. Ich meine, Riccardo ist ein Schwein, aber er ist kein Psychopath in dem Sinne, wenn du weißt, was ich meine. Warum fragst du nicht ihn selbst? Ich meine, er war bestimmt schon in Todeslagern, und er hat bestimmt grauenhafte Dinge gesehen. Grausame Menschen kennengelernt. Wahrscheinlich genau solche Menschen, wie du sie suchst.»
«Hmmm», sagte ich. «Ich frage mich …»
«Was?»
«Ob er kooperieren würde?»
«Ein Pass ist ein Pass. Wir wissen beide, was ein Reisepass wert ist – wir haben schon in Genua in einem fremden Keller gesessen und geschwitzt. Riccardo genauso.»
«Dieses Dorf, in dem er wohnt …»
«La Cocha.»
«Wie lange dauert es, dorthin zu kommen?»
«Mindestens zwei Stunden, je nachdem, ob der Fluss Hochwasser führt oder nicht. Es hat in letzter Zeit verdammt viel geregnet in der Gegend. Ich könnte dich hinfahren, wenn du möchtest. Wenn wir sofort aufbrechen, sind wir noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück.» Geller kicherte.
«Was ist denn?», wollte ich wissen.
«Ich dachte nur gerade, wie amüsant es wird, Riccardos Gesicht zu sehen, wenn du ihm erzählst, dass du für die Polizei arbeitest. Das wird ihm wirklich einen Heidenschreck einjagen.»
«Und du meinst, das wäre eine zweistündige Fahrt wert?»
«Ich würde es um nichts in der Welt versäumen wollen.»
Gellers Wagen war ein aprikosenfarbener Jeep. Vier dicke Geländereifen, ein großes Lenkrad, zwei ungemütliche Sitze und eine Hecktür. Wir waren noch nicht weit gekommen, als mir klarwurde, warum Geller sich für einen Jeep entschieden hatte. Die Straßen südlich von Tucumán waren kaum mehr als Schotterpisten durchausgedehnte Zuckerrohrfelder, und einzig die
ingenios
, die industriellen Zuckermühlen der großen Gesellschaften, erinnerten uns daran, dass wir nicht ganz am Ende der Welt angelangt waren. Als wir schließlich La Cocha erreichten, konnte ich mir keinen Ort auf der Welt vorstellen, der weiter weg war von Deutschland und dem langen Arm der alliierten Militärjustiz.
Wenn Tucumán eine Pferdescheißestadt war, dann war La Cocha die Stadt des Schweinemists. Zahllose Hausschweine wanderten über die verdreckten Straßen, als wir in die Ortschaft rumpelten und die Hühner aufschreckten, die unter protestierendem Gegacker und lautem Flügelschlagen davonstieben. Die Straßenköter, so dünn und ausgezehrt sie aussahen, bellten aus vollem Hals. Aus einem hohen Schornstein quoll eine fette schwarze Rauchwolke. Für Eichmann musste es aussehen wie zu Hause.
Ein Mann arbeitete vor dem Ofen; er schob mit Hilfe eines langstieligen Schiebers Brot in den Ofen und holte fertig gebackenes heraus. In exzellentem Castellano erkundigte sich Geller bei dem Bäcker nach dem Weg zum Haus von Riccardo Klement.
«Sie meinen den Nazi?», fragte der Bäcker.
Geller starrte mich überrascht an und grinste. «Ja, das ist er», sagte er.
Mit einem schmutzigen, dürren Finger, der aussah, als gehörte er zu einem Orang-Utan, der die Hexerei studierte, deutete der Bäcker den Weg entlang an einer kleinen Autowerkstatt vorbei zu einem zweistöckigen Haus aus Natursteinblöcken ohne erkennbare Fenster.
«Er wohnt in der Villa da», sagte der Bäcker.
Wir fuhren das kurze Stück bis zum Haus und hielten auf einem Hof zwischen einer Wäscheleine und einem Außenklo, von dem Eichmann hastig herunterkam, eine Zeitung in der einen Hand, während er mit der andern seine Hose zuknöpfte. Ihm auf dem Fuß folgte ein starker Gestank nach Kloake. Es war offensichtlich, dass das Geräusch des Jeep ihn vom Klo geholt hatte. Seine anfänglicheErleichterung, dass wir nicht das argentinische Militär waren, das gekommen war, um ihn zu verhaften, wich sehr schnell Verärgerung.
«Was zum Teufel haben Sie hier verloren?», fragte er und schürzte die Oberlippe auf
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