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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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verletzt.»
    «Hamburg ist weit weg von Berlin», erklärte ich. «Ich wüsste nicht, wie   …»
    «Der neue Kanzler von Papen hat – mit Unterstützung von General von Schleicher und Adolf Hitler – eine Präsidialorder vorgelegt, die von Hindenburg unterschrieben hat. Damit ist die preußische Regierung de facto abgesetzt.»
    «Ein Staatsstreich.»
    «Darauf läuft es hinaus, ja.»
    «Ich nehme an, die Armee hat nichts dagegen unternommen.»
    «Sie nehmen richtig an. Generalleutnant von Rundstedt hat das Kriegsrecht über Groß-Berlin und die Provinz Brandenburg verhängt und die Kontrolle über die Polizeikräfte übernommen. Grzesinski wurde aus dem Amt entfernt. Weiß und Heimannsberg wurden unter Arrest gestellt. Dr.   Kurt Melcher ist der neue Polizeipräsident von Berlin.»
    «Nie gehört, den Namen.»
    «Ich glaube, er war vorher der Polizeipräsident von Essen.»
    «Und wer ist der neue Stellvertreter?»
    «Ich glaube, er heißt Dr.   Mosle.»
    «Mosle!», rief ich aus. «Was weiß der über richtige Polizeiarbeit? Er ist der Leiter der Berliner Verkehrspolizei!»
    «Oberst Poten ist der neue Chef der uniformierten Polizei von Berlin. Ich glaube, er war vorher Direktor der Polizeiakademie in Eichen. Sämtliche preußischen Gesetzesbeamten sind von sofort an direkt der Armee unterstellt.» Wowereit deutete ein Lächeln an. «Ich denke, das schließt Sie mit ein. Für den Augenblick.»
    «Die Berliner Polizei wird sich das nicht bieten lassen!», sagteich. «Weiß war vielleicht nicht beliebt, das stimmt. Aber Magnus Heimannsberg – das ist eine ganz andere Geschichte. Er wird sehr geschätzt von Untergebenen und Kollegen.»
    «Was können sie schon dagegen ausrichten? Natürlich wird das Militär Gewalt anwenden, um Widerstand zu brechen.» Er zuckte die Schultern. «Nichts von all dem ist für uns hier in München von unmittelbarer Bedeutung, Herr Gunther, und es hat wenig Relevanz für den vorliegenden Fall, nämlich Ihren. Der Bericht, den wir an Ihre Vorgesetzten geschickt haben, beschreibt in allen Einzelheiten, was sich hier zugetragen hat. Zweifellos werden Sie Ihren Vorgesetzten Ihre eigene Version der Geschehnisse unterbreiten, sobald Sie erst zurück in Berlin sind.»
    «Darauf können Sie wetten!»
    «Ein Sturm im Wasserglas, meinen Sie nicht auch? Verglichen mit dem, was sonst passiert ist. Politisch gesehen, meine ich.»
    «Sie haben leicht reden. Sie wurden schließlich nicht zusammengeschlagen und tagelang in einer Zelle festgehalten. Und vielleicht haben Sie den Grund für die Schlägerei schon vergessen – ein ermordeter Polizeibeamter wurde von einem Ihrer Kollegen in den Schmutz gezogen. Ich frage mich, ob das auch in Ihrem verdammten Bericht steht.»
    «Deutschland gehört von jetzt ab den Deutschen», sagte Wowereit. «Und nicht einer Bande von Einwanderern, die nur deswegen hier sind, um zu holen, was sie kriegen können. Dieser dumme Putsch in Berlin wird keine Probleme lösen. Es ist das letzte verzweifelte Aufbäumen der Republik, um zu verhindern, was unausweichlich ist: die Wahl einer nationalsozialistischen Regierung am 31.   Juli. Von Papen hofft den Beweis anzutreten, dass er stark genug ist, dass Deutschland nicht in dem Sumpf versinkt, den die Juden und die Kommunisten aus unserem Land gemacht haben. Doch jeder weiß, es gibt nur einen Mann, der dieser historischen Aufgabe gewachsen ist.»
    Ich gab meiner Hoffnung Ausdruck, dass er auf dem Holzwegwäre. Ich sagte es leise, und ich sagte es höflich. Der heilige Augustinus hätte es wahrscheinlich gutgeheißen. Es hat eine Menge für sich, die andere Wange hinzuhalten, wenn man vorher mächtig was auf die eine bekommen hat. Man bleibt länger am Leben. Man kann zurück nach Berlin. Ich hoffte nur, dass ich die Stadt noch wiedererkannte, wenn ich erst zurück war.
     
    Als ich aus dem Zug stieg, stellte sich schnell heraus, dass die Stadt von der Dritten Armee quasi besetzt worden war. Gepanzerte Fahrzeuge vor allen öffentlichen Gebäuden, Trupps von Soldaten, die die Juli-Sonne in sämtlichen größeren Parks genossen. Es war, als hätte jemand die Uhr um zwölf Jahre zurückgedreht. Nur, dass es diesmal nicht danach aussah, als könnten Berlins Arbeiter noch einmal einen Generalstreik ausrufen, um diesen Putsch zu beenden, wie es 1920 der Fall gewesen war. Allein im Gebäude am Alex schien es eine gewisse Neigung zu Widerstand zu geben. Polizeimajor Walter Encke, der im gleichen Mietshaus wohnte wie Abschnittsleiter

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