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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Heimannsberg und eng mit ihm befreundet war, war der Fokus für einen Gegenputsch. Doch der Alex war voller Nazi-Spione, und Enckes Plan, uniformierte Schupo-Brigaden einzusetzen, um sämtliche Nazis in der Berliner Polizei zu verhaften, verlief ganz schnell im Sand, als ein Gerücht auftauchte, er und Heimannsberg wären homosexuell und ein Liebespaar. Später stellte sich zudem heraus, dass das Gerücht jeglicher Grundlage entbehrte, doch da war es längst zu spät. Weil Encke fürchtete, seinen Ruf als Polizist und als Mann zu riskieren, verfasste er schleunigst einen Rundbrief, in dem er jedes Gerede von einem Gegenputsch der Bereitschaftspolizeien als haltlos darstellte und der Armee seine Loyalität als «ehemaliger Offizier der Kaiserlichen Armee» zusicherte. In der Zwischenzeit denunzierten nicht weniger als sechzehn Kripo-Beamte, darunter vier Kommissare, Bernhard Weiß wegen angeblicher Unschicklichkeiten im Dienst. Und ich wurde in das Büro des neuen Berliner Polizeipräsidenten Dr.   Kurt Melcher bestellt.
    Melcher war ein enger Freund von Dr.   Franz Bracht, dem früheren Bürgermeister von Essen und derzeitigen stellvertretenden Reichskommissar der preußischen Regierung. Melcher war ursprünglich ein Anwalt in Dortmund gewesen und Autor einer Reihe bekannter, wenngleich unsäglich geschwollener Bände über die Geschichte der preußischen Polizei. Ernst Gennat war bei meinem Treffen mit dem neuen Polizeipräsidenten zugegen, genau wie der stellvertretende Polizeipräsident Johann Mosle. Doch der vierundfünfzig Jahre alte Melcher redete die meiste Zeit. Er war ein offensichtlich leicht reizbarer Mann, der wenig Zeit verlor und beim Sprechen oft mahnend den nikotingelben Zeigefinger erhob.
    «Ich dulde nicht, dass Beamte der Berliner Polizei sich mit anderen Polizisten prügeln, ist das klar?»
    «Jawohl, Herr Präsident.»
    «Sie sind sicher überzeugt, einen guten Grund gehabt zu haben, doch ich will ihn nicht hören. Die politischen Differenzen, die es zwischen unseren Beamten gegeben hat, sind ab sofort vorbei. Sämtliche Disziplinarverfahren gegen Beamte, die Anhänger der Nazis oder Mitglieder in nationalsozialistischen Vereinigungen sind, werden fallengelassen, und das Verbot der Mitgliedschaft in der Nationalsozialistischen Partei, das bisher für Beamte im preußischen Staatsdienst galt, wird aufgehoben. Falls Sie mit diesen Änderungen nicht einverstanden sind, gibt es für Sie keinen Platz mehr bei der Berliner Polizei, Gunther.»
    Ich wollte erwidern, dass ich schon seit einer ganzen Weile mit Männern zusammengearbeitet und -gewohnt hatte, die offen nationalsozialistisch waren. Doch dann fiel mein Blick zufällig auf Gennat, der die Augen schloss und beinahe unmerklich den Kopf schüttelte, als wollte er mir empfehlen zu schweigen.
    «Jawohl, Herr Präsident.»
    «Es gibt einen größeren Feind in diesem Land als die Nationalsozialisten, und ganz besonders in dieser Stadt. Bolschewiken und Unmoral. Wir werden zuerst die Kommunisten schnappen, und dannwerden wir uns mit dem Laster befassen. Die öffentlichen Fleischbeschauen sind vorbei. Und die Huren jagen wir von den Straßen.»
    «Jawohl, Herr Präsident.»
    «Das ist noch nicht alles, Gunther. Die Kripo wird von jetzt an wie eine einzige große Mannschaft arbeiten. Ab sofort gibt es keine prominenten Ermittler mehr, die Pressekonferenzen abhalten und deren Namen in den Zeitungen abgedruckt werden.»
    «Was ist mit Polizeibeamten, die Bücher schreiben, Herr Präsident?», fragte ich. «Wird das gestattet? Ich wollte schon immer ein Buch schreiben.»
    Melcher grinste ein hässliches Krötenlächeln und beugte sich vor, als würde er einen frechen Schuljungen genauer in Augenschein nehmen.
    «Wissen Sie, Gunther, es überrascht mich nicht, dass Sie diese blauen Flecken in der Visage haben. Sie haben ein freches Mundwerk. Und ich mag Ermittler nicht, die meinen, sie wären schlauer als alle anderen.»
    «Es hätte doch wohl keinen Sinn, Herr Präsident, Ermittler einzustellen, die dümmer sind als alle anderen?»
    «Es gibt schlau, und es gibt schlau, Gunther. Und es gibt klug. Der kluge Beamte kennt den Unterschied. Er weiß, wann er das Kuchenloch schließen und zuhören muss. Er weiß, wie man persönliche Dinge beiseite lässt und zusieht, dass man mit seiner Arbeit vorankommt. Ich bin nicht sicher, ob Sie dazu in der Lage sind, Gunther. Ich wüsste nicht, wie es sonst kommen könnte, dass Sie drei Tage und Nächte in einer

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