Das letzte Experiment
Als er Isidors Posten übernommen hat?»
«Es war nicht so, Bernie!», verteidigte sich Gennat. «Ich kenne Mosle länger, als ich Sie kenne. Er ist ein guter Mann.»
«Das war Isidor auch.»
«Was sich noch zeigen wird», sagte Melcher. «Nicht, dass Ihre Meinung etwas zur Sache täte, Gunther. Ich versetze Sie hiermit mit sofortiger Wirkung zur Inspektion J.»
«J? Das ist die Aktenablage! Das ist nicht mal eine richtige Inspektion, verdammt! Es ist nur eine Hilfsinspektion!»
«Die Versetzung ist vorübergehend», fuhr Melcher fort. «So lange, wie ich brauche, um zu entscheiden, welche von den übrigen sieben Inspektionen einen Mann mit Ihren Erfahrungen am besten gebrauchen kann. Bis dahin möchte ich, dass Sie Ihre Erfahrung nutzen, um über Möglichkeiten nachzudenken, wie die Aktenablage verbessert werden kann. Das Dumme damit ist nämlich, dass sie dort keine Ahnung haben, wie richtige Ermittlungen funktionieren. Es ist von jetzt an Ihre Aufgabe, das in Ordnung zu bringen, Gunther. Ist das klar?»
Normalerweise hätte ich widersprochen. Ich hätte vielleicht sogar meine Kündigung angeboten. Doch ich war müde nach der langen Reise von München nach Berlin, und mir tat immer noch alles weh. Ich wollte nur noch nach Hause, ein Bad nehmen, etwas trinken und in einem richtigen Bett schlafen. Außerdem wäre in ein paar Tagen Reichstagswahl, am 31. Juli. Ich hatte noch immer die Hoffnung, dass das deutsche Volk zur Besinnung kommen und die Sozialdemokraten zur stärksten Partei im Reichstag machen würde. Hernach würde der Reichswehr nicht viel anderes übrigbleiben, alsdie preußische Regierung wieder einzusetzen und von Papen und seine Konsorten wie Melcher und Bracht und Mosle aus ihren illegal erlangten Ämtern zu nehmen.
«Jawohl, Herr Präsident», sagte ich.
«Das wäre alles, Gunther.»
«Ich bitte um Erlaubnis, eine Woche Urlaub nehmen zu dürfen, Herr Präsident.»
«Genehmigt.»
Ich ging langsam hinaus, und Ernst Gennat folgte mir. Mosle blieb in Melchers, wie ich hoffte, vorläufigem Büro zurück.
«Es tut mir aufrichtig leid, Bernie», sagte Gennat. «Aber ich konnte wirklich nichts daran ändern.»
«Ah. Sie kriegen ja doch den Mund auf. Ich hatte schon Zweifel.»
Gennat lächelte ein kleinmütiges, verlegenes Lächeln. «Ich bin seit mehr als dreißig Jahren bei der Polizei, Bernie», sagte er. «Ich wurde schon 1906 zum Kommissar ernannt. Eine Sache, die ich in dieser Zeit gelernt habe, ist zu wissen, welche Schlachten sich zu kämpfen lohnen und bei welchen man besser klein beigibt. Es hat genauso wenig Sinn, mit diesen Idioten zu streiten, wie es Aussicht auf Erfolg hätte, sich gegen das Militär zu stellen. Meiner Meinung nach ist von Papens Regierung auf die eine oder andere Weise zum Scheitern verurteilt. Wir können nichts tun, außer hoffen und beten, dass die Wahl das richtige Ergebnis bringt. Anschließend können Sie wieder zurück zur Mordinspektion. Isidor Weiß und die anderen alle können vielleicht ebenfalls zurück auf ihre Posten. Obwohl, wenn ich bedenke, was Ihrem Freund Herzefelde in München widerfahren ist, dann ist mir fast lieber, wenn er draußen bleibt. Das Kriegsrecht wird vermutlich in einigen Tagen wieder aufgehoben. Sie werden es nicht wagen, die Wahlen abzuhalten, während noch immer die Reichswehr auf den Straßen patrouilliert. Die Anklagen gegen Weiß und Heimannsberg werden aus Mangel an Beweisen fallengelassen. Grzesinski plant bereits eine Reihe von Reden überallin der Stadt, um seine Politik der Gewaltlosigkeit zu verteidigen. Also, Bernie. Gehen Sie nach Hause. Haben Sie Vertrauen in die deutsche Demokratie. Und beten Sie, dass von Hindenburg am Leben bleibt.»
DREIZEHN
BUENOS AIRES
1950
Es war spät, und ich arbeitete noch in meinem Büro in der Casa Rosada. Das Büro bestand aus nicht viel mehr als einem Schreibtisch und einem Aktenschrank sowie einem Garderobenständer in einer Ecke des Großraumbüros des SIDE. Meine sogenannten Kollegen ließen mich mehr oder weniger links liegen. Meine Situation erinnerte in dieser Hinsicht an die von Paul Herzefelde damals im Kripo-Einsatzraum des Münchner Präsidiums. Allerdings wurde ich nicht als Jude verachtet. Es war nur so, dass sie mir nicht vertrauten, und ich konnte es ihnen nicht verübeln. Ich wusste nicht, was Colonel Montalban den Leuten über mich erzählt hatte. Vielleicht überhaupt nichts. Vielleicht alles Mögliche. Vielleicht irgendetwas völlig Irreführendes. So ist das
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