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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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anderes Treppenhaus, das hinunter in den zentralen Hof führte, in dem mehrere Streifenfahrzeuge und Kleinlaster parkten. Auf dem Weg durch den hohen Torbogen nach draußen begegnete ich wieder dem fetten Wachtmeister vom Empfang, der jetzt offensichtlich Dienstschluss hatte. Er trug keinen Ledergürtel und keine Schulterstücke mehr. Außerdem hatte er eine Thermoskanne bei sich. Er stellte sich mir in den Weg.
    «Sicher, es ist immer schlimm, wenn ein Polizist in Erfüllung seiner Pflicht das Leben lässt», sagte er. «Es sei denn, er war ein Jude», fügte er kichernd hinzu. «Die Kameraden, die diesen Juden erschossen haben, diesen Herzefelde – sie verdienen einen Orden, das tun sie.» Er spuckte vor mir zu Boden. «Eine schöne Heimreise noch nach Berlin.»
    «Noch ein weiteres Wort, und ich reiße dir die Zunge aus dem dicken bayrischen Kopf und kratze mit der Fußsohle den Nazi-Dreck runter, der sich darauf angesammelt hat.»
    Der Wachtmeister stellte seine Thermoskanne auf eine Fensterbank und schob die hässliche Visage in meine Richtung. «Was glaubst du eigentlich, wer du bist, so einfach in meine Stadt zu kommen und mir zu drohen? Du hast Glück, dass ich dich nicht einfach einbuchte, Freund. Noch ein Wort von dir, und ich lass dich morgen früh an den Eiern von unserem Fahnenmast baumeln.»
    «Wenn ich dir drohen würde, würdest du dir in die Hosen machen, Scheiß-Nazi.»
    «Das ist ein Mann mit einem gebrochenen Unterkiefer, der zu mir spricht», sagte der Wachtmeister und zielte mit einem wilden Schwinger auf meinen Kopf.
    Er war groß und stark, mit Schultern wie das Tragjoch einer friesischen Milchmagd und Fäusten so groß wie Eimern. Doch sein erster Fehler war, mich nicht zu treffen. Seine Jacke war immer noch zugeknöpft, und das behinderte ihn, sodass ich dem Schlag locker ausweichen und mich wegducken konnte. Sein zweiter Fehler war, mich ein zweites Mal nicht zu treffen. Und das Kinn wütend vorzurecken. Inzwischen war ich selbst bereit, Schläge auszuteilen – mit einer Wut, als stünde ich dem Mann gegenüber, der Paul Herzefelde erschossen hatte. Und ich verpasste ihm ein Ding direkt unter das Kinn. Genau an die Stelle, die, wie von Clausewitz sicherlich bestätigt hätte, die beste Stelle ist für einen entscheidenden Schlag. Seine Beine knickten in der Sekunde weg, in der ich ihn erwischte. Trotzdem schlug ich noch einmal zu, diesmal in den Magen, und als er vornüberkippte, hämmerte ich ihm noch mit der Entschlossenheit und Willenskraft eines Schwergewichtlers eine Rechts-links-Kombination in die Nieren. Er taumelte rückwärts gegen die Wand des Torbogens. Ich schlug immer noch auf ihn ein, als drei seiner Kameraden von der Schupo mich von ihm wegzerrten und gegen das schmiedeeiserne Gitter drückten.
    Langsam rappelte sich der dicke Wachtmeister wieder hoch. Er brauchte eine Weile, bis er stand. Ich musste ihm eines lassen: Er konnte einiges wegstecken. Er wischte sich den Mund und kamschwer atmend auf mich zu, und in seinen Augen sah ich, dass er nicht beabsichtigte, mich auf das Oktoberfest einzuladen.
    «Haltet ihn schön fest», sagte er den drei anderen Polizisten. Und dann schlug er zu. Ein kurzer rechter Haken, der bis zum Ellbogen in meinem Magen versank. Dann noch einer und noch einer, bis seine Knöchel meine Wirbelsäule kitzelten. Nur lachen konnte ich nicht. Es war nicht witzig. Sie ließen mich los, als ich anfing zu kotzen. Doch sie waren noch nicht fertig mit mir. Im Gegenteil, sie liefen gerade erst warm.
    Sie schleiften mich zurück in das Gebäude und nach unten zu den Zellen, wo sie mich erneut in die Mangel nahmen. Geschickte, fachmännische Prügel von Polizisten, die genau wussten, was sie taten, und die Freude an ihrer Arbeit hatten. Nach einer Weile hörte ich wie aus weiter Ferne eine Stimme, die sie daran erinnerte, dass ich ebenfalls ein Polizist war, und an diesem Punkt ließen sie mich in Ruhe.
    Ich hatte so ein Gefühl, als wäre es Schramma gewesen, der sie zur Vernunft gebracht hatte, doch ich fand es niemals zweifelsfrei heraus. Ich blieb eine ganze Weile auf dem Boden der Zelle liegen. Solange niemand auf mich eintrat, fühlte es sich dort an wie der komfortabelste Platz auf der Welt. Ich wollte nichts weiter als liegenbleiben und zwanzig Jahre lang schlafen. Dann kippte der Boden zur Seite, und ich glitt in ein dunkles, tiefes Loch, in dem Zwerge kegelten. Für eine Weile spielte ich mit, doch dann gab mir einer der Zwerge einen Zaubertrank,

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