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Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Fux
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Wasser in Richtung Außenalster einbog, wo keine Buden standen, ließ Anna sich zurückfallen. Mit zügigen Schritten steuerte er auf das imposante Eingangsportal des Hotels »Vier Jahreszeiten« zu.
    Unbekümmert ob ihrer nicht ganz standesgemäßen Kleidung schlüpfte Anna an den livrierten Hotelpagen vorbei ins Innere des Hotels. »Einen schönen Abend noch, Professor Bergman«, hörte Anna die Empfangsdame sagen. Schnell drehte sie sich um und gab vor, den üppig geschmückten Christbaum zu bewundern, der in der Halle aufragte. Der alte Mann ging unmittelbar an Anna vorbei zu den Fahrstühlen. Ihr stockte der Atem, als ihr sein Rasierwasser in die Nase stieg. Der Duft katapultierte sie mehr als sechs Jahrzehnte zurück in die Vergangenheit – in die schlimmste Nacht ihres Lebens.

Kapitel 4
     
    Der Eindringling
     
    Montag, 15. Dezember 2008
    Am frühen Morgen drehte Theo seine übliche Runde über den Friedhof, ein Ritual, bei dem er seinen Tag plante und die Ereignisse des Vortags rekapitulierte. Finkenriek war kein verwunschener Friedhof mit verwitterten Grabsteinen und knorrigen Bäumen, sondern ein heller, freundlicher und vor allem bei schönem Wetter belebter Ort. Über den Hauptweg zogen die Wilhelmsburger im Sommer bepackt mit Decken, Kinderwagen und Picknickausrüstung zum nahen Elbstrand gleich hinter dem Deich. Selbst an diesem stillen Wintermorgen kamen Theo Spaziergänger sowie eine wetterfest verpackte Radfahrerin mit zwei gigantischen Wolfshunden entgegen. Stoisch schritten die Tiere durch die tiefen Pfützen vom Vortag. Heide nickte dem jungen Bestatter freundlich zu. Vor zwei Jahren hatte er ihre Mutter beigesetzt.
    Ein Stück weiter hoben zwei Friedhofsmitarbeiter ein Grab aus. Ihre Mini-Bagger sahen aus, als müssten sie noch tüchtig wachsen, bevor sie auf die großen Baustellen der Welt hinaus durften. Nicht weit davon, am äußersten Rande des Friedhofs, lag das Grab, das Ziel von Theos täglichem Morgenspaziergang. Von dort aus konnte man bereits den Deich sehen und die im Wind schwankenden Fahnenmasten des Schiffsanlegers dahinter. Auf dem Grab stand ein schlichter, unbehauener Findling, vor dem noch eine letzte Rose blühte. »Nadeshda Matthies, geb. Semjonow, *15. 04. 1975, †15. 04. 2005«, war darin eingraviert. Erst seit seine Frau an ihrem Geburtstag gestorben war, war ihm aufgefallen, dass dieser bizarre Zufall gar nicht so selten vorkam. Darunter stand in zierlichen Lettern »Emilie Matthies, */†15. 04. 2005«. Seine Tochter war noch im Bauch ihrer Mutter gestorben.
    Er gab sich selbst die Schuld am Tod von Frau und Tochter, obwohl er wusste, dass es Blödsinn war. Niemand starb an Krebs, weil der Ehemann ein paar Monate zuvor fremdgegangen war.
    Der Seitensprung war ebenso unnötig wie unbefriedigend gewesen. Es war eine banale Geschichte während einer dieser endlosen Nachtschichten im Krankenhaus gewesen. Mareike, seine junge Kollegin aus der Pädiatrie, war in seinem Zimmer aufgetaucht, um sich nach einem kleinen Mädchen zu erkundigen, das er am Tag zuvor am Herzen operiert hatte. Er hatte die Spannung zwischen ihnen wahrgenommen, gespürt, dass etwas laufen könnte, und fast automatisch sein bewährtes Charmeprogramm aus vorehelichen Zeiten abgespult. Einfach so. Einfach, um zu testen, ob es noch funktionierte. Und irgendwie hatte er dann nicht mehr den Absprung gefunden. Nicht mehr abspringen wollen.
    Die Wochen danach war Mareike mit waidwundem Blick durch die Gänge geschlichen. Sie hatte sich schließlich krankschreiben lassen, bis sie eine andere Stelle gefunden hatte. Theo war gleichermaßen beschämt wie erleichtert gewesen.
    Er hatte Nadeshda nichts von dem One-Night-Stand erzählt. »Wenn du mich einmal betrügst, nur ein einziges Mal, dann bin ich weg«, hatte sie gleich zu Beginn ihrer Beziehung klargestellt. Er zweifelte nicht daran, dass sie es ernst meinte. Für Nadeshda gab es nur schwarz oder weiß, ganz oder gar nicht. Ganz so, wie sie selbst war. 300 Tage im Jahr war sie wunderbar: unkompliziert, lebenslustig, leidenschaftlich. Die übrigen fünfzig Tage war sie ein zutiefst verzweifeltes Wesen, von Selbsthass zerfressen. Sie wusch sich nicht die Haare und ging auch dann nicht ans Telefon, wenn ein wichtiger Kunde anrief und ihre Dienste als Illustratorin verlangte. Ein Zustand, der Tage anhielt, aber nie länger als eine Woche. »Misses Hyde« hatte er sie in diesen Zeiten für sich genannt. Manchmal bedurfte es nur eines geringfügigen

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