Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
Fahrraddiebstähle verunzieren würden. »In welcher Angelegenheit möchten Sie die Kollegin denn sprechen?«
»Todesfall mit möglicher Fremdeinwirkung«, sagte Theo nach kurzem Zögern, sein dem sonntäglichen »Tatort« entnommenes rudimentäres Kriminalvokabular aktivierend.
»Ich frag mal eben nach.« Lübke drückte eine Durchwahltaste. »Ihr Name?«, fragte er, die Hand auf die Sprechmuschel legend.
»Theo Matthies, Doktor Theo Matthies«, sagte er. »Frau Öztürk kennt mich.«
Montag, 8. Dezember 2008
Kaum hatte Anna sich wieder gefasst, öffneten sich die Türen des imposanten Fahrstuhls aufs Neue und entließen eine Gruppe distinguiert wirkender, rege diskutierender Männer. An ihren Kragen trugen sie blassviolette Namensschilder mit gleichem Emblem und Aufschrift. Sie erinnerte sich daran, dass ein solches Schild auch an »Bergmans« Jackett gesteckt hatte. Entschlossen folgte sie dem Grüppchen in den blau heraufdämmernden Dezemberabend. Das Gespräch drehte sich um synaptische Plastizitäten und neuronale Kodierungen – kurz, um die Funktionsweise des menschlichen Denkorgans. Hirnforschung war zwar nicht Annas Spezialgebiet, aber sie erinnerte sich vage daran, im ›Ärzteblatt‹, das sie noch immer abonniert hatte, eine Ankündigung für einen entsprechenden Kongress in Hamburg gelesen zu haben. Grimmig lächelte sie. Nun wusste sie, wie sie sich unauffällig an Bergman heranpirschen konnte. Wer dem Leibhaftigen gegenübertritt, bleibt am besten möglichst lange in Deckung.
Montag, 15. Dezember 2008
Hadice kam ihm auf dem Gang entgegen.
»Danke, Bernhard, ist schon in Ordnung«, sagte sie. Und dann an Theo gewandt: »Der Herr Oberarzt höchstpersönlich.« Sie entblößte ihre scharfen, weißen Mausezähnchen zu einem unwiderstehlichen Grinsen und knuffte ihm freundlich auf den Arm.
»Schon lange nicht mehr«, sagte Theo müde. Hadices Lächeln flackerte und erlosch.
»Was ist passiert?« Und so kam es, dass Theo zunächst nicht von Anna und der seltsamen Einstichstelle hinter ihrem Ohr berichtete, sondern von Nadeshda.
Es war fast vier Jahre her, dass er seine Frau in die Notaufnahme gefahren hatte. Nie hätte er gedacht, dass er den alten Citroën auf Tempo 127 quälen könnte. Nadeshda war in der Küche vor Schmerzen zusammengeklappt, als sie sich einen Kräutertee gegen die dauernde Übelkeit kochte. Die schwere, gusseiserne Kanne aus Japan hatte eine tiefe Kerbe in den Dielen hinterlassen. Lange hatte Nadeshda die Übelkeit und zunehmende Mattigkeit auf ihre Schwangerschaft geschoben. Die Diagnose traf sie wie ein Faustschlag: Bauchspeicheldrüsenkrebs, eine der aggressivsten Tumorarten überhaupt. Der schleunigst anberaumte OP-Termin hatte keine Stunde gedauert. Der Chirurg hatte einen Blick in Nadeshdas Bauch geworfen und sie gleich wieder zunähen lassen. Entgegen Theos banger Hoffnung hatte der Krebs bereits weit gestreut. Nächtelang hatte er Studien gewälzt, aus denen er Heilung für seine Frau zu schöpfen hoffte. Die Überlebensrate im fortgeschrittenen Stadium war niederschmetternd. Und dann hatte Nadeshda sich auch noch geweigert, eine Chemotherapie über sich ergehen zu lassen. Theo, der seine Frau am liebsten zu einem US-Spezialisten geschafft hätte, war verbittert gewesen. Theo wollte Nadeshda retten, Nadeshda wollte ihr Kind retten. Beide hatten es nicht geschafft. Am Ende war Nadeshda ein paar Wochen zu früh gestorben, als dass das kleine Mädchen eine Chance gehabt hätte. Sein Besuch auf der Erde hatte nur wenige Minuten gedauert.
Drei Jahre, so hatte man Theo prophezeit, würde die tiefste Trauer anhalten. Die Zeit war längst verstrichen. Trotzdem hatte er bislang nicht den Eindruck, dass der Schmerz abgenommen hätte. Er war noch immer gleich stark. Immerhin fühlte er sich nicht mehr ganz so scharfkantig an, eher dumpf, wie eingekapselt.
»Manchmal sehe ich sie sogar«, hörte er sich sagen. »Seit Nadeshda tot ist, taucht sie immer wieder bei mir auf. Ich meine, nicht nur in meinem Kopf, sie scheint so verdammt real zu sein. Manchmal kann ich sie sogar riechen.« Er rieb sich mit beiden Händen wütend über das Gesicht. »Am Anfang dachte ich, ich verliere den Verstand.«
»Und jetzt?« Hadice zündete sich eine Zigarette an und warf ihm das Päckchen zu. Er fing es mit der linken Hand.
»Keine Ahnung.« Er klappte die Schachtel auf, warf einen Blick hinein, als suchte er darin nach einer Antwort. »Glaubst du an Gespenster?«
Hadice zuckte die
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