Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
der Busen gewaltig, und an den Ohren trug sie ungeachtet der Mode jahrein, jahraus lange, giftig glitzernde Gehänge. Vermutlich wirkte all der Zigarettenrauch, dem sie seit Jahrzehnten ausgesetzt gewesen war, auf sie nicht zerstörerisch, sondern konservierend. Mit Schwung stellte sie Theo ein Bier und Lars eine Apfelschorle vor die Nase. Lars trank keinen Alkohol. Sein Vater war ein liebenswerter Mensch gewesen, aber Alkoholiker, was Lars die Lust daran für immer vergällt hatte. Am gegenüberliegenden Ende des u-förmigen Tresens saß eine attraktive Brünette und sah zu Theo hinüber. Er wusste, dass sich ihr Interesse an ihm mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sofort verflüchtigte, sobald er ihr seinen Beruf enthüllen würde. Früher, als er noch Chirurg gewesen war, hatte das Thema einen gegenteiligen Effekt gehabt.
Als Hadice hereingerauscht kam, folgte ihr ein Schwall eisiger Luft. Sie bestellte eine Bio-Limonade, neumodisches Zeug, wie Irmchen fand, das sie nur widerwillig in ihr Angebot aufgenommen hatte. »Muss noch fahren«, erklärte die Kommissarin und klopfte auf den schwarzen Motorradhelm, den sie mit Schwung auf den Barhocker neben sich gepfeffert hatte. Sogleich kam Paul angewieselt und sah anbetend zu ihr auf.
»Schaut euch den treulosen Köter an.« Lars warf dem Hund einen vorwurfsvollen Blick zu.
Hadice hob eine Augenbraue. In ihrer schwarzen Ledermontur sah sie aus wie eine moderne Emma Peel. »Der Hund hat eben Geschmack.« Sie kraulte dem verzückten Tier den Schädel.
»Und wie geht es jetzt weiter?« Theo malte mit dem Zeigefinger ein grimmiges Mondgesicht auf das beschlagene Bierglas.
»Mit ein bisschen Glück haben wir morgen oder übermorgen schon das Ergebnis der zweiten Obduktion – und dann ist das womöglich ein Fall für die Mordkommission«, erklärte Hadice. »Schon peinlich für den Gerichtsmediziner, dass ihm die Einstichstelle entgangen ist – wenn es denn eine ist«, sinnierte sie.
»Na, hinter dem Ohr rechnet man wahrscheinlich nicht unbedingt damit«, sagte Lars begütigend. »Und selbst wenn es eine Injektion war, muss es doch noch lange kein Mord sein.«
»Nur, dass mir absolut keine andere Erklärung einfallen will«, sagte Theo und zerknüllte wütend seinen Bierdeckel. »Man spritzt normalerweise nichts hinters Ohr.«
»Das Problem ist vor allem, dass kein Mensch überrascht ist, wenn so alte Leutchen einfach tot umfallen.« Hadice studierte finster die Inhaltsangabe der Biobrause. »Es heißt sogar, dass jeder zweite Mord unentdeckt bleibt – vor allem, wenn es um ältere Menschen geht.«
»Wer zum Teufel bringt denn so eine nette alte Dame um die Ecke?« Theo machte dem Bierdeckel endgültig den Garaus, indem er ihn systematisch in Fetzen zerpflückte. »Ich meine, es sah ja wirklich nicht so aus, als ob sie groß was zu vererben gehabt hätte.«
»Kann man nie wissen. Weißt du nicht mehr? Vor einem halben Jahr habe ich doch bei der alten Frau Krämer die Bibliothek abgeholt. Und in jedem Buch hatte sie Geldscheine gehortet. Lauter Fünfer, Zehner und Zwanziger – alles in allem fast eine viertel Million. Dabei hat die alte Dame ihre letzten Jahre in einer absoluten Bruchbude gehaust.«
»Da werden sich die Erben ja gefreut haben«, meinte Hadice lakonisch.
»Das weniger – der ganze Geldsegen war in DDR-Mark.«
»Es muss ja nicht immer ums Geld gehen – schließlich gibt es noch andere Mordmotive als Habgier.«
»Ein eifersüchtiger Verehrer?« Theo schüttelte den Kopf.
»Warum nicht? Mein Patensohn macht gerade ein Praktikum im Altenheim. Ich sag euch, der erzählt Geschichten – da geht es hoch her.«
Hadice nickte. »Nur weil die Leute alt sind, heißt das nicht, dass sie keine leidenschaftlichen Gefühle mehr haben – oder keine gefährlichen Geheimnisse.«
Eine Stunde später verließen die vier die Kneipe. Die kalte Nachtluft vertrieb ihre aufkeimende Müdigkeit. Wilhelmsburg war definitiv kein Szeneviertel, und so herrschte auf den Straßen dunkle Stille. Ein paar Schneeflocken schwebten wie winzige Ballerinen durch die Luft und schmückten den Pelzkragen von Lars’ Wintermantel mit glitzerndem Eisstaub. Hadice tippte wie ein Korporal an ihre imaginäre Schirmmütze. »Ich muss los.«
»Noch ein Date?«
»Nein. Ich muss noch zu meiner Nine.«
»Ihrer Großmutter«, übersetzte Lars.
»Treibt es nicht zu toll«, verabschiedete sich Hadice und schwang die langen Beine über den Sattel ihrer Maschine.
»Seit wann
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