Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
Jahr.«
»Du könntest auch einfach hier übernachten.«
Hanna zog eine Augenbraue hoch, was den Haarbalken über ihrer Nase in Schräglage brachte.
Theo musste lachen. »Ich hab hier ein superbequemes Gästezimmer. Außerdem können wir dann morgen beim Frühstück gemeinsam einen Schlachtplan in Sachen Anna Florin schmieden – oder, Lars?«
»Wenn du darauf bestehst.«
»Na, dann sag ich nicht Nein.« Hanna zog ihre lila Strickmütze wieder vom Kopf. Die Locken standen elektrisiert nach allen Seiten. »Ich bin wirklich grottenmüde.«
Kapitel 11
Jagdgefährten
Donnerstag, 25. Dezember 2008
Als Theo am Weihnachtsmorgen die Treppe herunterkam, saß Hanna bereits am Esstisch. Sie hatte die nackten Füße unter sich auf den Stuhl gezogen und starrte konzentriert auf den Bildschirm ihres Laptops.
»Moin«, sagte Theo und fuhr sich mit den Händen durchs Haar.
»Morgen«, murmelte Hanna, ohne aufzublicken.
»Das hast du wohl immer dabei, das Teil?«
»Immer«, bestätigte Hanna.
Theo beschloss, ihre kurz angebundene Art am Morgen zu respektieren. Nadeshda hatte ihn im Umgang mit Morgenmuffeln hervorragend geschult. Er warf seine Espressomaschine an und produzierte zwei Tassen Cappuccino. Anschließend schob er zwei Aufbackcroissants in den Ofen. Hannas Finger glitten derweil in atemberaubendem Tempo über die Tastatur. Theo stellte ihr schweigend Kaffee und Croissant hin. Während er seine Portion vertilgte, beobachtete er amüsiert, wie Hannas Hand sich abwechselnd die Tasse und das Hörnchen angelte, ohne dass die dazugehörige Eigentümerin den Blick vom Bildschirm löste. Sie trug ihre Sachen vom Vortag, ein weiches schwarzes Wickelkleid mit tiefem Dekolleté. In ihrem ungeschminkten Gesicht leuchtete die Morgensonne jedes Fältchen aus. Er hatte schon am Vorabend festgestellt, dass sie ohne Schminke vermutlich genauso gut aussah wie mit. Zum Glück, denn Hanna Winter gehörte zu den Frauen, deren kunstvolles Make-up sich in kürzester Zeit auflöste. Zu herzhaft vertilgte sie die Speisen, zu lebhaft fuhr sie sich über die Augen, zupfte ungeduldig an ihrer Nasenspitze oder stützte das Gesicht in die Hände. Ihre Wimpern waren auch ohne Mascara dunkel, lang und geschwungen, ihr Mund von Natur aus sehr rot. Er registrierte belustigt, dass sie beim Lesen Grimassen schnitt, die den Text offenbar kommentierten. Sie kniff die Augen zusammen und verzog den Mund. Was sie gerade las, schien ihr erheblich zu missfallen.
Kurz drauf hieb sie befriedigt auf eine Taste ihres Rechners und schenkte ihm den ersten Blick des Tages. »Ich glaube, ich hab’s so weit«, sagte sie.
»Klingt vielversprechend.«
»Oh, und vielen Dank für das Frühstück«, sagte Hanna. Befriedigt betrachtete sie den krümeligen Teller und die leere Tasse.
»Mehr?«
»Oh ja.«
»Ein Ei?«
»Perfekt.«
Theo freute sich. Es war noch vor zehn Uhr, und er hatte am Weihnachtsmorgen schon einen Menschen glücklich gemacht. Wenn das kein gutes Omen war. Als Erstes bereitete er die zweite Runde Kaffee. Im Leben ging es darum, die richtigen Prioritäten zu setzen. Noch während die Eier kochten, hörte er es an der Haustür rumoren. Lars kam herein und brachte neben dem Mops einen Schwall kalter Luft mit sich.
»Moin zusammen«, sagte Lars.
»Geh doch mal den Kamin anmachen«, bat Theo. Lars ließ interessiert den Blick zwischen der inzwischen putzmunteren Hanna und Theo hin und her wandern. Hanna lachte laut. Der Hund erstarrte. Lars zuckte die Schultern und kümmerte sich um den Kamin.
Eine gute Stunde später saßen sie satt und zufrieden vor den flackernden Flammen.
»Also«, sagte Hanna gedehnt. »Unsere Arbeitshypothese lautet: Jonathan Bergman. Der international anerkannte Professor für Hirnforschung ist identisch mit einem Mann, der 1943 gemeinsam mit Anna Florin in Stift Eichenhof tätig war. Ein Arzt, der damals Menschenversuche an Patienten durchgeführt hat. Anna war überzeugt, ihn wiedererkannt zu haben – und ich glaube, sie hatte recht.«
Theo nickte. Lars schüttelte den Kopf. »Leute, das ist jetzt, Moment mal, 65 Jahre her. Menschenskind, wie soll man jemanden zweifelsfrei wiedererkennen, den man zuletzt vor Jahrzehnten gesehen hat? Ich erkenne mich ja manchmal morgens selber kaum im Spiegel …«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte Hanna trocken. »Aber unser Gehirn ist ein Speicher, der überraschende Fähigkeiten birgt. Erinnerungen, die mit starken Emotionen verknüpft sind, ätzen sich in unser
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