Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
langwieriger Suche aufgestöbert hatte. Zweifellos würde sie jetzt grausam geschändet werden. Er seufzte.
»Meinst du nicht, du bist doch noch ein bisschen klein für so einen großen Baum?«, machte er einen letzten halbherzigen Versuch, das Unheil abzuwenden.
»Du hast doch eine Trittleiter«, konterte Lilly. »Und die Spitze darfst du zum Schluss draufmachen«, sagte sie großherzig.
Degradiert zum Handlanger eines Weihnachtswichtels, dachte Theo und grinste in sich hinein.
»Erst die Kerzen, dann die Kugeln«, sagte er streng, um ein Fitzelchen Autorität zurückzuerobern.
Lilly nickte ernsthaft.
»Na, dann gehe ich mal kochen.«
Da die Küche sich offen, wenn auch über Eck an den Wohnbereich anschloss, hörte Theo Lilly rumoren. Der Weihnachtsschmuck klirrte leise, und die Trittleiter schrappte von Zeit zu Zeit über den alten Dielenboden, wenn Lilly sie schnaufend verrückte.
Er schrubbte ein Kilo Biokartoffeln sowie fünf Möhren und setzte sie in einem großen Topf mit Salz und kaltem Wasser auf den Herd. In einen separaten Topf kamen sechs Eier.
Während die Zutaten garten, schnippelte er Gewürzgurken, eine Zwiebel und einen Apfel klein und ließ eine halbe Packung Tiefkühlerbsen auftauen. Dann schlug er aus Mayonnaise, saurer Sahne, Salz und Pfeffer ein üppiges Dressing.
Das Rezept für den Kartoffelsalat stammte von Nadeshdas russischer Oma: »Olivje« hieß er, was sich nach einem holländischen Begriff für Olive anhörte, aber mit Oliven nichts gemein hatte. Kein Wunder: Oliven wurden in Russland eher selten angebaut.
Seine Gedanken wanderten zum Vortag. Diese Hanna Winter schien wirklich etwas auf dem Kasten zu haben. Ihm hatte gefallen, mit welch grimmiger Leidenschaft sie über die ungesühnten Verbrechen an den behinderten Menschen gesprochen hatte. Er hoffte, dass er mit ihrer Hilfe auch im Fall Anna Florin weiterkommen würde. Und er hoffte, dass sie seine Einladung für den Weihnachtsabend annehmen würde. Er mochte Frauen, die gerne aßen.
»Fertig«, sagte Lilly hinter ihm, als er gerade die gekochten Eier, Kartoffeln und Karotten würfelte.
»Lilly, das hat ja keine halbe Stunde gedauert«, sagte er empört. Er selbst hatte an diesem Nachmittag mindestens zwei Stunden für kontemplatives Baumschmücken reserviert. Mit »White Christmas« von Bing Crosby und einem Glas Glühwein.
Sie zuckte die elfenhaften Schultern. »Na, so groß ist der Baum nun auch wieder nicht.« Dann zog sie ihn an der Hand. »Jetzt komm schon.«
»Bitte schön.« Lilly machte eine Handbewegung, die die Anmut einer spanischen Prinzessin barg.
Die diffuse Vormittagssonne ließ die silbernen und roten Glaskugeln sanft schimmern. Lilly hatte unterschiedlich große Exemplare zu dekorativen Trauben arrangiert. An den äußersten Astspitzen der Edeltanne schimmerten die gläsernen Eiszapfen, mit denen Theo sein ererbtes Weihnachtsschmuckensemble im Laufe der Jahre aufgestockt hatte. Der Baum war ganz einfach perfekt.
»Ganz schick, oder?«, fragte Lilly gleichmütig.
»Sensationell«, staunte Theo. »Du bist für die nächste Saison engagiert.«
Um 19.07 Uhr klingelte es an der Tür. Der Tisch war gedeckt, der Rotwein entkorkt, und der Tannenbaum erfüllte die Luft mit seinem weihnachtlichen Duft. Mal sehen, wen Lars dieses Jahr anschleppt, dachte Theo voller Vorfreude. Er riss die Tür auf. Auf der Schwelle stand der zweite Weihnachtswichtel des Tages, allerdings gute vierzig Zentimeter Meter größer als der erste und mit einer violetten Mütze auf den schwarzen Locken.
»Frohe Weihnachten«, sagte Hanna, streckte ihm eine eiskalte Flasche Wodka entgegen und zwinkerte ihm zu.
»Das passt ja perfekt!« Er lachte. »Frohe Weihnachten«, sagte er dann verlegen und küsste sie unbeholfen auf die eisigen Wangen. Sie roch nach Polarluft.
Kurz darauf trafen Lilly, May und Lars ein. Paul-Mops drängelte sich vor, stemmte seine dicken Pfoten an Theos Knien ab und glotzte ihn mit seelenvollem Augenaufschlag an. Seine rosige Zunge hing schräg in einem Mundwinkel. »Schleimer«, sagte Theo und tätschelte dem Hund den feisten Nacken. »Okay. Überredet. Du bekommst nachher auch noch eine Wurst.« Paul schmatzte.
»Guck mal, wen ich hier mitgebracht habe.« Lars schob einen riesigen, wettergegerbten Mann in den Raum. Er hatte eine spiegelnde Glatze, die er mit unerhört wild wuchernden Augenbrauen wettmachte.
»Vadder Hansen«, rief Theo entzückt. »Wie hat Lars dich denn von deiner Hallig
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