Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Fux
Vom Netzwerk:
Hanna zog die Augenbrauen hoch.
    Karl nickte. »Ohne den Eingriff wäre ich heute wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Und wenn, dann sicher nicht als der, der ich heute bin: Damals sind Kinder mit einem ausgeprägten Wasserkopf gestorben oder verblödet. Was in Zeiten der Behinderteneuthanasie ungefähr zum selben Ergebnis führte.« Er blickte sie bedeutungsvoll über den Rand seiner Brille an. »Die Operation war damals noch vollkommen unbekannt. Das Einsetzen eines ›Shunts‹, so nennt man die Drainage für die Hirnflüssigkeit inzwischen, praktiziert man erst seit 1949. Ich habe versucht herauszukriegen, wer mich damals operiert hat und was aus dem Mann geworden ist.«
    »Und?« Theo beugte sich erwartungsvoll vor.
    »Der Arzt hieß Sven von Vries.«
    »Das wäre doch ein sehr wahrscheinlicher Kandidat!« Hanna sprang auf. »Wenn er damals schon tollkühne Schädel-OPs gemacht hat, ist doch nicht unwahrscheinlich, dass er heute Hirnforscher ist.«
    »Wohl kaum.« Der Professor hob bedauernd die Hände. »Sven von Vries ist am 27. Juli 1943 gestorben. Er kam während der ›Operation Gomorrha‹ ums Leben.« Er erhob sich. »Der Herr ließ Schwefel und Feuer regnen vom Himmel herab auf Sodom und Gomorrha und vernichtete die Städte und die ganze Gegend und alle Einwohner. Erstes Buch Mose, Kapitel 19, Vers 24/25.«
    Dienstag, 27. Juli 1943
    Der 27. Juli 1943 war ein heißer Sommertag gewesen, der jetzt in einen ebenso warmen Abend überging. Wieder einmal konnte Anna nicht schlafen. Wieder saß sie auf der geschwungenen Außentreppe. Mit gerunzelter Stirn blickte sie nach Osten. Die Sonne sollte erst in ein paar Stunden aufgehen, und doch glomm dort ein immer heller werdender orangefarbener Schein.
    »Mein Gott«, dachte sie plötzlich, »Hamburg brennt!«
    Obwohl die Hansestadt erst zwei Nächte zuvor von 700 britischen Fliegern angegriffen worden war, die weite Teile von Eimsbüttel und Altona zerstört hatten, genossen viele Hamburger die laue Sommernacht in Parks und Cafés. Um 23.40 Uhr bereiteten die Sirenen dem sommerlichen Idyll ein Ende. Ein Geschwader von 739 Bombern steuerte auf Hamburg zu. Der Name der Attacke: Operation Gomorrha.
    Dieses Mal hatten die Piloten nicht den Hafen und die Industrieanlagen zum Ziel, diesmal wollte man die Zivilbevölkerung treffen. Mit dieser Strategie hoffte Churchill, die deutsche Bevölkerung zu demoralisieren und in den Aufstand gegen Hitler zu treiben.
    Insgesamt 1464 Tonnen Sprengbomben rissen die Dächer von den Häusern und ließen die Fenster bersten. Dann kamen die Brandbomben. Sie fielen auf die freigelegten, knochentrockenen Dachstühle, in hölzerne Treppen und durchschlugen die Holzdecken der Wohnhäuser. Innerhalb weniger Minuten standen die ersten Gebäude in Flammen. Der Luftzug, der durch die zerbombten Fenster strömte, verwandelte sie in gigantische Kamine. Schnell sprang das Feuer von Haus zu Haus, bis ganze Straßenzüge in Flammen standen.
    Fast zwanzigtausend Menschen kamen in dieser Nacht ums Leben. Die meisten erstickten in ihren Kellern – ein gnädiger Tod. Andere wurden in den bis zu tausend Grad heißen Gebäuden bei lebendigem Leib geröstet. Auch draußen gab es kein Entkommen. Die heiße Luft stieg schnell nach oben, das Feuer, das nach Nahrung gierte, sog den Sauerstoff am Boden an: Ein Feuersturm entfachte sich. Mit bis zu 270 Stundenkilometern raste der glühende Wind durch die brennenden Häuserschluchten. Er entwurzelte Bäume, riss Trümmer mit sich, verbrannte die Lungen all jener, die ihn einatmeten.
    Einen Kilometer über Eichenhof näherte sich ein britischer Lancaster-Bomber. Der 20-jährige Pilot Bill Lexington hatte seinen ersten Einsatz geflogen. Im Verbund der Staffel hatte er sich sicher gefühlt, doch dann hatte die deutsche Flack angefangen, ihre Reihen zu lichten. Der Flieger neben ihm, sein Kumpel Steven, war vor seinen Augen abgeschossen worden. Links und rechts von ihm waren die Geschosse der deutschen Abwehr vorbeigezischt. Bill hatte die Nerven verloren und beigedreht. Allerdings konnte er nicht mit seiner tödlichen Ladung an Bord heimkehren. Unter ihm herrschte Dunkelheit. Entschlossen entriegelte er die Klappen im Rumpf des Bombers.
    Vier Tonnen Sprengstoff und Metall stürzten dem Boden entgegen. Der größte Teil grub sich tief in ein Maisfeld, das Feuer fing und spektakulär, aber harmlos abfackelte. Nur eine Bombe traf ein Nebengebäude von Eichenhof. Anna sah, wie die Fenster aus dem einstigen

Weitere Kostenlose Bücher