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Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Fux
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abgeliefert hat …« Schwester Helena machte eine Pause, um tief Luft zu holen. »… da hatten Sie keine Unterhose an«, zischte sie dann.
    Anna schwieg. Sie war völlig perplex.
    »Können Sie mir das vielleicht erklären? Was Sie mitten in der Nacht in voller Montur, aber ohne Unterhose draußen zu suchen hatten?«
    »Nein«, sagte Anna, »das kann ich wirklich nicht erklären. Ich pflege niemals ohne Unterwäsche herumzuspazieren.«
    »Dann muss sie sich wohl in Luft aufgelöst haben«, sagte die Schwester spitz. »Und jetzt: an die Arbeit mit Ihnen. Und sollte mir noch einmal zu Ohren kommen, dass Sie sich nicht hundertprozentig an die Regeln des Hauses halten, werde ich dafür sorgen, dass man Sie entlässt.«
    Anna erhob sich. Ohne einen Gruß ging sie hinaus.
    Den Vormittag über verrichtete sie ihre Arbeit grübelnd. Obwohl die Kinder sie mit »Anna ist wieder da!«-Geschrei begrüßten und alle von ihr betreut werden wollten, bekam sie das Rätsel mit dem verschwundenen Schlüpfer nicht aus dem Kopf.
    »Hat Anna Kopfweh?«, fragte Karl besorgt und legte ihr mitfühlend eine klebrige Patschhand auf die Stirn.
    »Ein bisschen, mein Schatz«, sagte Anna und gab ihm einen Kuss auf den großen Kopf. Wenigstens einer, der Svens Experimente überstanden hatte, dachte sie. Karl strahlte.
    »Karl hat auch noch Kopfweh«, sagte er leise. »Aber das sag ich keinem. Keinem außer dir.«
    »Warum denn nicht?«
    »Wer krank ist, wird totgemacht«, flüsterte Karl.
    Anna erschauerte.
    »Ich pass auf dich auf, Karl, ich versprech’s dir.«
    Beim Mittagessen wurde sie von den übrigen Schwestern freundlich aufgenommen. Schwester Gertrud klopfte auf den freien Platz neben sich und strahlte sie an. »Bist du sicher, dass du schon wieder auf dem Damm bist, Herzchen?«, fragte sie. »Du bist noch ein bisschen blass um die Nase.«
    Es gab wieder Eintopf mit Gemüse und Fleischbrocken, den gleichen wie an ihrem ersten Tag in Eichenhof. Sie musste an Line denken. Ihr schräg gegenüber saß Fritz. Er starrte sie unentwegt an, während er seinen Löffel mechanisch in den Teller tauchte. Als ihre Blicke sich trafen, grinste er lüstern. Anna ließ den Löffel fallen. Die Suppe spritzte in alle Richtungen.
    Am späten Nachmittag passte sie einen ruhigen Moment ab und lief dann hinüber in die Männerstation im Nachbarflügel. Fritz schob gerade einen Wagen mit dem frühen, kümmerlichen Abendessen für seine Patienten vor sich her. Wie eine Furie ging Anna auf ihn los. »Du widerlicher Dreckskerl«, brüllte sie. Fritz grinste unsicher. Anna merkte, dass er genau wusste, worum es hier ging. Sie packte ihn am Kragen und schüttelte ihn.
    »Als ich ohnmächtig war, hast du mir den Schlüpfer ausgezogen und eingesteckt, du ekelhafter Perverser! Bestimmt hast du ihn aufbewahrt! Bestimmt geilst du dich daran auf!«
    Fritz machte sich los und trat einen Schritt zurück. Nervös schaute er sich um.
    »Wenn der nicht heute Abend hübsch verpackt vor meiner Tür liegt, dann erzähl ich die Sache dem Fatzer«, drohte sie. Fritz nickte eilfertig.
    »Was ist denn hier los?« Dr. Richter kam um die Ecke gebogen.
    »Nnnnichts«, stotterte Fritz.
    »Ich glaube, die Sache hat sich erledigt«, sagte Anna, ohne den Blick von Fritz zu wenden. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt.
    Am Abend lag ein Päckchen vor ihrer Tür. Sie riss es an einer Seite auf, um einen Blick hineinzuwerfen. Angeekelt ging sie damit hinaus und verbrannte es im Obstgarten. Von Männern hatte sie fürs Erste die Nase voll.
    Sonntag, 28. Dezember 2008
    Als Theo die Tür zu seinem Büro öffnete, saß May hinter seinem Schreibtisch. Sie hatte sich mit dem Rücken zum Eingang gedreht und die Füße auf die Fensterbank gestützt. Theo sah, dass sie rauchte.
    »Harter Tag?«, fragte er leise. Er wusste, May rauchte nur, wenn ihr einer der Verstorbenen, die sie versorgt hatte, besonders an die Nieren gegangen war.
    »Zwei kleine Mädchen«, sagte sie nur, noch immer mit dem Rücken zu ihm. Sie spreizte die Finger der linken Hand. »So winzig …«
    »Frühchen.«
    May drehte sich zu ihm herum. »Schau sie dir nicht an.«
    Theo war ihr zutiefst dankbar. Seit er seine ungeborene Tochter verloren hatte, hatte er mit toten Kindern jeden Alters noch mehr Probleme als andere Menschen. Die Kinder übernahm immer May.
    Als sie gegangen war, zog es ihn trotz ihres Ratschlags in den Kühlraum. Dort stand ein winziger schneeweißer Sarg. Behutsam hob er den Deckel an. May hatte die

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