Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
das Gesicht. Ein großer Trümmerbrocken hatte Konstantins aristokratische Nase bis zur Unkenntlichkeit zerdrückt. Aber das reichte noch nicht. Sven griff nach einem schweren Stein.
Während er mit diesem mechanisch die letzten Gesichtszüge von Konstantin auslöschte, ging er die nächsten Schritte noch einmal im Geist durch. Er hatte schon seit Langem einen Alternativplan. Er hatte zwar stets gehofft, dass Hitler den Krieg gewinnen würde, weil unter ihm die Forschungsbedingungen besser waren als in anderen, moralverwässerten Gesellschaften. Ihm war aber von Anfang an klar gewesen, dass die Sache genauso gut schiefgehen konnte. Und so hatte er schon vor zwei Jahren, als die USA sich in den Krieg eingemischt hatten, erkannt, dass die Sache brenzlig wurde. Gemeinsam mit seinem Studienkollegen Wolf Grundmann hatte er Plan B ausgeheckt. Wolf war Arzt im Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg. Und Wolf hatte für sich und Sven geeignete Ersatzidentitäten gesucht. Erst vor einem halben Jahr war es so weit gewesen: Jonathan Bergman war nur ein Jahr älter als er und war ihm auf den ersten Blick recht ähnlich. Wichtiger noch: Bergman war bei einem Onkel irgendwo auf einem Gut in Ostpreußen aufgewachsen und hatte in Königsberg studiert. Erst vor einem Jahr war er nach Hamburg gekommen, um zu arbeiten. Dabei hatte der Junge vom Lande sich gleich bei den Nazis unbeliebt gemacht. Hitlerkarikaturen – was für ein Unfug. Und das war das Sahnehäubchen: Bergman war Arzt. Das hieß, wenn Sven in seine Identität schlüpfte, konnte er nach dem Krieg gleich dort weitermachen, wo er jetzt aufhören musste. Etwas anderes als medizinische Forschung kam für ihn nicht infrage.
In Hamburg kannte Jonathan Bergman kaum jemanden, und wenn er doch jemanden traf, würde der sich nicht wundern, dass er sich nach den Jahren im KZ verändert hatte. Ohnehin plante Sven, nach Ende des Krieges Deutschland schnellstmöglich unter seinem neuen Namen zu verlassen. Mehr als ein, höchstens zwei Jahre konnte das nicht mehr dauern. Seit Stalingrad ging es mit dem deutschen Heer rapide bergab.
Er erhob sich und klopfte den Staub von seinen Knien. Dann häufte er wieder Steine auf das zerstörte Gesicht seines toten Freundes. »Tut mir leid, Kumpel«, sagte er, »du weißt, ich mach das nicht gern.« Er zog seinen Siegelring vom Finger und steckte ihn an Konstantins Finger. Er saß etwas locker, aber das würde hoffentlich niemandem auffallen. Dann ging er rasch zurück in den Raum, in dem Anna lag. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihm, dass noch immer alle von dem brennenden Maisfeld gebannt waren. Gut so. Das Glück war ihm wieder einmal hold.
Schade war nur, dass er die Testreihe mit Maja nicht vollständig hatte beenden können. Für die letzte Auswertung fehlte nur noch die Autopsie – und dafür hatte er nun wirklich keine Zeit. Er zögerte kurz, doch das Experiment war ganz offensichtlich ein wissenschaftlicher Meilenstein. Die Ergebnisse konnten ihm Zugang zu den besten Universitäten eröffnen. Er klappte seine Arzttasche auf und legte Skalpell und Knochensäge bereit. Gottlob brauchte er nicht den ganzen Leichnam mitzuschleppen.
In weniger als zehn Minuten war er fertig. Er ließ seinen Schatz in einen mit Formalin gefüllten Behälter sinken. Ein stechender Geruch breitete sich in dem Raum aus. Jetzt musste er sich beeilen. Wenn man ihn jetzt noch ertappte, würde es ihm schwerfallen, eine überzeugende Ausrede zu finden. Er griff nach seinen Unterlagen, die in einer Ledertasche bereitstanden, und stieg über Annas Körper hinweg. Sie wimmerte leise. Er schenkte ihr einen letzten, durchaus freundlichen Blick. Ihre kratzbürstige Art hatte ihm zugesagt. Hätte der Krieg sich wider Erwarten doch noch zugunsten der Deutschen gewendet, hätte er nichts dagegen gehabt, sie zu heiraten. Die Tochter eines Obersturmbannführers an seiner Seite hätte seiner Karriere auf jeden Fall förderlich sein können. Lächelnd stieg er die wackelige Treppe hinunter. Dann verschluckte ihn die Dunkelheit.
Montag, 29. Dezember 2008
»Ich will euch ja nicht den Spaß verderben, Leute«, sagte Lars. »Aber eigentlich sind wir keinen Schritt weiter. Wir haben noch immer keinen Beweis dafür, dass Bergman in Wirklichkeit von Vries ist.« Er deutete auf das Gruppenbild, das Theo mit den anderen Fotos auf den Tisch gelegt hatte. »Damit lässt sich jedenfalls nichts anfangen.«
»Vielleicht müssen wir es einfach andersherum versuchen. Wenn wir nicht
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