Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
hast du den Auftrag nicht gleich angenommen?«, zischte Fatih, als die Frau in ihre Villa humpelte.
»Mensch Alter, wir müssen doch erst noch trainieren.«
»Was trainieren? Fensterputzen etwa?«
Statt einer Antwort verpasste Selçuk ihm einen Klaps vor den Schädel.
Natürlich hatte Fatih noch nie im Leben ein Fenster geputzt. Und so überraschte er seine Mutter mit einem ungewohnten Hilfsangebot.
»Nix da, die Fenster sind blitzsauber.« Aische war voller Misstrauen.
»Na, dann kann doch nichts passieren.«
»Hast du eine Ahnung.«
Trotzdem machte Fatih sich mit Eimer, Glasreiniger und Abzieher über das Fenster in seinem Zimmer her – es waren ja immerhin sein Zimmer und sein Fenster. Drei Minuten später war er fertig. Na also! Ging doch kinderleicht. Doch dann schob sich die Sonne zwischen den Wolken hervor, als wollte sie auch mal einen Blick auf seine Arbeit werfen. Ihre Strahlen legten bloß, dass das vormals spiegelnd saubere Glas jetzt voller hässlicher Schlieren war. Fatih fluchte und putzte erneut. Einziger Effekt war, dass die Schlieren jetzt an anderer Stelle auftauchten. Fatih schwitzte. Zwanzig Minuten, eine halbe Flasche Sprühreiniger und eine drei viertel Rolle Küchentücher später war das Ergebnis wenigstens annehmbar, wenn auch nicht so brillant wie vor der Aktion. Er schaute auf die Uhr. Fast vierzig Minuten hatte er insgesamt gebraucht. Das Fenster maß einen Meter mal 2,50 Meter. Fatih dachte an die Villen mit ihren riesigen Fenstern. Er stöhnte und ließ sich zwischen die zerknüllten Küchentücher sinken. Aische tauchte in der Tür auf und lehnte sich mit überkreuzten Armen in den Rahmen.
»Na? Doch nicht so leicht, wie es aussieht, was?«, sagte sie zufrieden.
»Der Horror«, gab Fatih zu.
»Warum willst du denn unbedingt Fenster putzen?«
»Das ist so eine bescheuerte Idee von Selçuk. Zum Geldverdienen und so«, schwindelte er.
»Sehr löblich. Komm, ich zeige dir, wie es geht.«
Fatih stöhnte. »Jetzt gleich?«
»Wer wird denn nach einem bisschen Putzen gleich schlappmachen«.
Manchmal hasste Fatih seine Mutter.
Der nächste Tag bescherte den beiden Knaben zwar keinen Durchbruch, aber einen Achtungserfolg. Sie putzten 43 Fenster in zwei Villen und nahmen dabei mehr als 300 Euro ein – trotz Rabatt. Die letzte der Villen war sogar strategisch günstig gelegen – neben dem observierten Objekt. Von der Leiter aus konnte Fatih ins benachbarte Grundstück spähen. In einem der Räume sah er einen weißhaarigen Herrn an einem Schreibtisch sitzen.
»Das muss er sein, der Killer«, rief er aufgeregt. Selçuk wäre fast vom Fenstersims geplumpst.
»Spinnst du, brüll hier doch nicht ’rum.« Auf Zehenspitzen, als könnte der Feind ihn hören, schlich er zu Fatihs Spähposten hinüber. Ein dunkel gekleideter jüngerer Mann kam soeben hinein und reichte einem alten Herren ein schnurloses Telefon.
»Ich werd verrückt«, sagte Fatih, »da sitzt der Kerl, als könnte er kein Wässerchen trüben.«
»Ja bitte«, meldete sich Bergman.
»Hallo Sven«, sagte eine Stimme. Sie klang alt und rostig. »Ich darf doch Sven sagen, nach all diesen Jahren?«
Ilse Steiner hatte die letzten Tage in ihrem Pflegebett verbracht wie eine zufriedene Spinne im Netz. Es war ganz einfach gewesen. Sie hatte den pickeligen jungen Wehrdienstverweigerer Leon damit beauftragt, ihr Bergmans Telefonnummer zu beschaffen. Normalerweise hatte sie für die langhaarigen Drückeberger, die den Militärdienst verweigerten, nichts übrig. Und die konnten die giftige Alte aus Zimmer 36 genauso wenig leiden. Aber Geschäft blieb Geschäft, und da Leon hoffte, die bildschöne Saskia mit einer Einladung in die schickste Pizzeria am Ort zu beeindrucken, hatte er den Preis für die Nummernrecherche auf fünfzig Euro heraufgetrieben. Leider war die Aktion komplizierter als erwartet – denn Bergman stand nicht im Telefonbuch. So drehte auch Leon seine Runde über die Suchmaschinen, stieß auf den Hirnforscherkongress und rief dort an.
»Hat er schon wieder seine Brille vergessen?«, fragte Frau Dr. Knauer. Die Kongressorganisatorin hatte inzwischen ihre Erkältung überwunden.
»Wie?« Leon fühlte sich aus dem Konzept gebracht. »Nein«, improvisierte er schnell. »Ich brauche ein Empfehlungsschreiben. Für Harvard.«
Er bekam die Nummer.
Kapitel 16
Dänische Begegnung
Montag, 5. Januar 2009
Hanna fuhr allein nach Dänemark. Sie brauchte etwas Abstand, vor allem von Theo, wie sie sich
Weitere Kostenlose Bücher