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Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)

Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)

Titel: Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Roth
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etwas sehender, mutiger und hoffentlich lebendiger: Er wagt einen neuen Gang in das alltägliche Leben, wohl spürend, dass er in der ihm verbleibenden Zeit von denen begleitet wird, die er auf der Erde vermisst.
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    Trauerbegleitung kann auch bedeuten, dass man sich gemeinsam erinnert und das bewahrt, was bleibt: die Geschichte, die Erfahrung der gemeinsamen Zeit, die Besonderheiten und Erlebnisse. Niemand muss ein Musiker oder Maler, Schriftsteller oder Schauspieler sein, um genau das zu tun, was Künstler – Menschen, die wir so nennen – tun: einen eigenen Ausdruck finden für das, was in ihm vorgeht, was ihm wichtig ist, wie er die Welt sieht und wahrnimmt. Wenn man seine Gefühle, seine Erinnerungen und Empfindungen in einer Geschichte verarbeitet, in einem Bild malt, in eine Melodie verwandelt, gibt man ihnen eine einzigartige Form. Es spielt keine Rolle, ob dabei etwas entsteht, das in den Augen anderer ein Kunstwerk ist; es kommt nur darauf an, dass es unser ureigener Ausdruck von Gefühlen ist.
    Trauer und Liebe nähren sich aus der gleichen Quelle – aus einer intensiven, inneren Bindung an einen anderen Menschen. Diese Quelle ist eine im Wortsinn »schöpferische« Kraft. Ich wage die Behauptung, dass bei acht von zehn Kunstwerken Liebe oder Leiden am Anfang steht. Es sind Grundmotive, die jeder aus seiner individuellen Sicht immer wieder neu erfindet und in Erfahrung verwandelt.
    Das ist kein Zufall. Schmerz lehrt Aufmerksamkeit: »Leben ist eine Form des nicht sicher Seins, des nicht Wissens, was als nächstes kommt oder wie es kommt. In dem Augenblick, in dem du weißt wie, beginnst du, ein wenig zu sterben. Der Künstler weiß nie ganz genau. Wir raten. Wir haben vielleicht Unrecht, aber wir machen einen Sprung nach dem anderen in die Dunkelheit hinein.« (Agnes de Mille)

Die Bedeutung von Trauergruppen
    Anregungen und Angebote, wie man Abschied und Tod verarbeiten kann, gibt es mittlerweile – glücklicherweise – viele: Im Internet, in Trauergruppen, in ersten fortschrittlichen Bestattungshäusern findet man dazu viele Hinweise. Als ich zum ersten Mal zu einem »Kochseminar für Trauernde« in unser Haus der menschlichen Begleitung eingeladen habe, hielten manche das für eine Kuriosität. Spätestens beim zweiten Hinsehen erschließt sich der einen sehr nachvollziehbare Ausgangspunkt: Wenn man einen nahestehenden Menschen verliert, ändert sich der Alltag samt seinen Gewohnheiten und vertrauten Abläufen, auch was das Essen angeht. Gerade in diesem Punkt ähneln sich die Reaktionen vieler Trauernder. Sie haben wenig Appetit, fragen sich oft: »Für wen soll ich denn groß kochen?« Essen und Genuss passen nicht mehr zusammen.
    Zu Beginn eines solchen Kochseminars erzählen sich die Teilnehmer von ihrem Alltag, von den Veränderungen, von früher und heute; danach überlegen sie gemeinsam, was sie zusammen kochen wollen, oder verteilen Aufgaben. Der zweite Teil kann mit einem »sinnlichen« Ausflug auf den Markt beginnen, um dort die Zutaten einzukaufen und die Vielfalt, die Farben, Formen, Gerüche wieder bewusst wahrzunehmen – die Sinne zu sensibilisieren. Danach kann die Gruppe, in der Umgebung des Seminars, im Freien, nach schönen Dingen für die Tischdekoration suchen. Auch hier ging es darum, die Sinne zu wecken. Schließlich wurde gemeinsam das Essen zubereitet, jede Gruppe kochte einen Gang, den sie den anderen anschließend servierte. Gemeinsames Kochen ist eine wunderbare Möglichkeit der Kommunikation und der sinnlichen Erfahrung. Es ist nur eines von vielen Angeboten, und ob das für Sie oder den Menschen, den Sie in in einer Trauerphase unterstützen wollen, das Richtige ist, muss jeder für sich entscheiden. Aber einen Versuch ist es allemal wert, wenn Sie der Gedanke anspricht.
    Trauergruppen können viel leisten, weil sie einen Rahmen schaffen, in dem Gefühle mit anderen Menschen geteilt werden können. Nötig wäre daher ein flächendeckendes Angebot von Trauergruppen, wie sie heute unter anderem von kirchlichen und kommunalen Institutionen angeboten werden, vor allem auch von Hospizen. In solchen Gruppen erfahren Angehörige Trost und Bestärkung durch die Gemeinschaft. Sie können dort zum Ausdruck bringen, was ihnen innerhalb ihrer normalen – unveränderten – Umgebung, beispielsweise in der Familie oder am Arbeitsplatz, schwerfällt. Trauergruppen können Anregung und Abwechslung bieten, ohne Druck auszuüben. Sie fordern vom Trauernden nicht, dass er »wieder so ist

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