Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)
Schmerz gibt es keine Erste Hilfe, die mit Worten zu beschreiben wäre – so klug sie sein mag. Es ist oft genug wiederholt worden: Die Philosophie hat noch keine Träne getrocknet. Wer Menschen in einer schweren Krise unterstützen will, hat nur einen großen Verbündeten: die Zeit. Trauer ist kein statischer Zustand, sondern ein (heilsamer) Prozess, der einen Verlust in die persönliche Lebensgeschichte einbindet. Dieser Verlauf ist nie eine gerade Linie, sondern ein Weg mit vielen Schleifen und Windungen.
Sehr greifbar und anschaulich wird dieser gewundene Weg in der Installation »Pfad der Sehnsucht«, die in meinem Haus in Bergisch Gladbach zu besichtigen ist. Sie beginnt mit der mehrfach gewundenen vergoldeten Linien-Skulptur aus Eisenblech von Knopp Ferro. Die Arbeit spiegelt den Verlauf des menschlichen Seins. Über Jahrhunderte sind wir zum Cogito, ergo sum , »Ich denke, also bin ich«, erzogen worden. Die gesamte Installation lädt den Betrachter ein, sich einem Credo, ergo sum , »Ich glaube, also bin ich«, zu öffnen. Deshalb verlässt er die Rationalitätsebene und steigt symbolisch ab auf eine emotionale Ebene.
Es ist unmöglich, einem Zurückbleibenden ein Konzept für seinen Trauerweg vorzugeben, aber es ist möglich, ihm ein Gespür zu vermitteln, dass er auch über den Tod hinaus von den »guten Mächten« derer, die er irdisch vermisst, begleitet wird. Der Weg in die »Zyklen der Stille« führt zu einer Glaswand. Hinter einem Schleier aus fließendem Wasser, das die stetige Veränderung allen Seins symbolisiert, steht ein Text von Nelly Sachs: »Alles beginnt mit der Sehnsucht«. Doch um dies zuzulassen und zu entdecken, muss der Betrachter erst den Tod der Person, nach der er sich sehnt, akzeptieren.
Jeder Tod ist für den, der damit leben muss, wie eine Lawine, ein Erdbeben, ein Zusammenbruch bestehender Lebensvorstellungen. Der Tod – symbolisiert durch eine Gerölllawine – bricht in die Alltagswelt ein. Der Betrachter muss seinen Weg durch ein Trümmerfeld finden. Und wenn er versucht, die Bruchstücke zu sortieren, entdeckt er die Spuren, die von der Lebensbahn des Verstorbenen zurückgeblieben sind.
Ein Abzweig führt in einen Glasgang. Die rechte Kopfwand ist vom übergroßen Foto der menschlichen DNA beherrscht. Sie vermittelt dem Betrachter die Einzigartigkeit jeden menschlichen Seins. Der Glasboden symbolisiert die Zerbrechlichkeit und gleichzeitig die Bedeutung aller menschlichen Beziehungen. Eine Wand mit Namen verdeutlicht dem Betrachter, wie viele Menschen ihn auf seinem Lebensweg begleiten. Gleichzeitig entsteht Erinnerung über das bewusste Wahrnehmen von Gegenständen, die in einem Glasregal aufbewahrt sind. Einige Spiegelscherben im Regal erlauben einen Aus- und Einblick auf die Himmelsöffnung – einem Glasboden über einem Schacht.
Mit der bewussten Wahrnehmung der Namen und der konkreten Erinnerungsstücke durchwandert der Betrachter auch diverse Stationen seines eigenen Lebens. Dies ruft Träume, Gefühle und besonders Sehnsüchte nach Geborgenheit, Wärme, Heimat, Kindsein hervor. Die Hoffnung, dass dieser Ort des Geborgenseins, des Glücks und der ewigen Vollkommenheit nach dem Tode im Himmel oder in einem verlorenen Paradies erfahrbar wird, ist eine der großen universellen Sehnsüchte der Menschheit.
Immer haben die Menschen versucht, dieses Paradies bereits zu Lebzeiten auf Erden zu verwirklichen. Hierzu lädt der nächste Raum ein, auch wenn der Eintritt in ein solches irdisches »Spiegelparadies« Überwindung erfordert. Diese Scheu mag zu Fluchten in Seitenwege führen. Leicht folgt der Mensch Täuschungen, Verlockungen und auch falschen Heilsversprechungen. Aber Sackgassen sind ein Bestandteil des Lebens. Dies zu erkennen und zu akzeptieren ist wichtig, und deshalb sollten wir immer wieder aus unseren Sackgassen heraus nach dem Paradies suchen, wo immer es sein mag.
Beim Durchschreiten des »Paradieses« wird am Ausgang des Weges eine Videoprojektion abgespielt. Zu sehen ist in eine Wiese, aus der die Samen von Pusteblumen aufsteigen, gleichzeitig schneit diese Sommerwiese immer mehr zu. Die Videoinstallation in Schwarz und Weiß steht im Kontrast zur realen Welt, in die man durch eine Türe wieder austritt. Diese reale Welt, die wir täglich erfahren dürfen, ist viel bunter und lebendiger als all die Scheinwelten, die uns heute so vertraut sind. Sie muss nur immer wieder neu entdeckt werden.
Der Betrachter verlässt die Ebene der Gefühle vielleicht
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