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Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)

Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)

Titel: Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Roth
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wie früher«, wie ihn die anderen kennen.
    Wir sind es längst gewohnt, für alles und jedes Rankings, Bewertungen und Ratschläge zu finden. »So finden Sie den besten Augenarzt in Ihrer Stadt«, »So finden Sie die richtige Schule für Ihr Kind«, und so weiter. Solche Ranglisten und Bewertungen können eine Orientierungshilfe sein, wenn man sich zuvor zwei Dinge klargemacht hat: Welche Kriterien wurden angelegt, um etwas als »besser« oder »schlechter« einzuordnen, und wie weit entsprechen diese Kriterien den eigenen Wünschen. Genau das kann jedoch ein Betroffener oder dessen Begleiter nicht wissen, weil sie aufgrund der Einzigartigkeit der Situation und der tiefen Erschütterung erst im Laufe der Zeit herausfinden, was hilft und was nicht. Das heißt, die Auswahl aus den Angeboten kann keine »vernünftige« sein, sondern sie bleibt zutiefst subjektiv. Mit der Zeit findet man es heraus. So wie man spürt, wie sich Trauer und Schmerz verändern. Trauerzeiten sind Zeiten, in denen man sich selbst neu kennen lernt.

Wer macht den ersten Schritt?
    Oft ist es gerade für ältere Menschen schwierig, in einer Trauersituation überhaupt Hilfe anzunehmen oder in Anspruch zu nehmen. Die Beschäftigung mit dem eigenen Leid wird als unberechtigt empfunden, als würde man sich zu wichtig nehmen, obwohl es anderen vielleicht »noch viel schlechter geht«. Als gäbe es einen Vergleich oder ein Maß, nach dem beurteilt werden dürfte, welcher Verlust wie viel wiegt und wie viel Trauer ihm angemessen ist. Der Verlust eines Kindes rangierte auf Platz 1, der Tod eines jungen Familienvaters auf Platz 2, und schließlich der Tod im hohen Alter ganz am Ende. Das ist Unsinn. Trauer ist nicht vergleichbar, und jeder hat das Recht auf sein eigenes Maß an schmerzlichen Gefühle, ohne sie relativieren zu müssen.
    Trauerbegleitung ist eine Krücke, eine Geh-Hilfe, die Menschen stützt – sie kann ihnen den Schmerz nicht abnehmen, doch sie kann ihnen bei jedem Schritt auf dem langen Weg Halt geben. Es fällt vielen Trauernden oft schwer, den ersten Schritt zu machen und auf andere zuzugehen, um Unterstützung zu bekommen. In einem solchen Fall müssen andere diesen Schritt machen und nicht abwarten nach der Devise: »Sie wird sich schon melden, wenn sie etwas braucht – angeboten habe ich es ihr ja vor zwei Wochen auf der Beerdigung.« Die wenigsten werden von sich aus aktiv, sie wollen niemandem zur Last fallen, mit ihrem Leid allein sein. Auch für viele Beratungsangebote gilt heute die Regel, dass der Betroffene in der Verantwortung steht, den ersten Schritt zu machen. Für manche Angebote ist das vollkommen richtig – die Motivation zur Veränderung kann bei einem Süchtigen beispielsweise nur aus dem Wunsch entstehen, sich von der Sucht zu befreien. Und ohne diesen Wunsch laufen Beratungen ins Leere; für die dort verfügbaren Antworten und Lösungen fehlt die Frage.
    Das kann für Trauernde nicht gelten, es kann nicht erwartet werden. Daher gilt es, im Umgang mit Trauernden eine sehr feine Balance zu finden zwischen Angeboten und angemessenem, auch wiederholtem Zugehen auf den Menschen und dem Respekt vor seinem Wunsch nach Rückzug, der Ablehnung von Hilfe. Erfahrungsgemäß sind Trauernde erst in einem späteren Stadium ihrer Trauerzeit in der Lage, sich aktiv nach außen zu wenden und den Wunsch nach Hilfe oder Begleitung zu äußern.

Berufsvorbereitung für Trauerbegleiter
    Für Menschen, die in ihrem Berufsalltag mit Trauernden in Kontakt kommen, sollten entsprechende Seminare ein selbstverständlicher Bestandteil der Ausbildung sein. Das gilt nicht nur für die direkt betroffenen Berufsgruppen wie Mitarbeiter in Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern, Kirchengemeinden. Es sollte auch zu einem Bestandteil der Allgemeinbildung werden, beispielsweise an Berufsschulen für soziale Berufe, die ein sehr weites Spektrum umfassen. Trauerphasen haben, wie schon erwähnt, viel mit Krisen- und Verlusterfahrungen anderer Art gemeinsam, und sie erfordern ein Verständnis dafür, was in Menschen vorgeht und wie man damit umgeht. Alle Menschen werden früher oder später mit dem Tod von Angehörigen konfrontiert. Wer sich nie damit beschäftigt hat, wer nicht weiß, was das auslösen kann, vergibt die Chance zu lernen, wie man »Erste Hilfe« leisten kann, die tatsächlich hilft – anstatt mit Floskeln und Ratschlägen die Situation zu verschlimmern. Er vergibt auch die Chance, von Trauernden und Menschen, die eine Krise durchleben,

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