Das letzte Kind
Halb aus den Angeln gerissen, flog sie zurück, und Levi Freemantle füllte den Türrahmen aus. Das Gelbe in seinen Augen war blutrot angelaufen, er atmete schwer, seine Schultern so breit, dass sie zu beiden Seiten an den Rahmen stießen. Er sah das erhobene Rohr und trat über die Schwelle. Holloway schrumpfte in seinem Schatten zusammen. Er wich zurück, und die Ferse seines blank polierten Schuhs stieß gegen Johnnys Rippen.
Freemantle kam weiter herein; sein Gestank erfüllte die Luft. Er kam näher, ohne zu humpeln, ohne zu zögern. »Die Kleinen sind ein Geschenk«, sagte er. Holloway schwang das Bleirohr, als der Riese auf ihn zukam. Aber so groß Ken auch war, gegen Freemantle war er ein Kind.
Nur ein Kind.
Freemantle fing das Rohr mit einer Hand auf, entwand es Holloway und ließ es mit der Rückhand aus der Hüfte herauffahren. Vier Kilo Blei bohrten sich in Holloways Kehle. Holloway taumelte und fiel vor Johnny auf die Knie. Er hob die Hände an den Hals, und als er fiel, waren ihre Augen nur eine Handbreit voneinander entfernt. Johnny sah, wie Holloway nach Atem rang, und wusste, was er fühlte. Er sah die Erkenntnis in seinen Augen, die Gewissheit und dann das Entsetzen. Holloway krallte die Finger in seine zerschmetterte Kehle. Seine Fersen trommelten gegen die Wand, auf den Boden, und dann hörten sie auf. Das letzte Licht wich aus seinen Augen, und etwas Dunkles stieg in ihnen auf, ein Flattern wie der Schatten von Flügeln.
VIERUNDFÜNFZIG
H unt trat auf die Bremse, riss das Steuer nach rechts und fühlte, wie das Heck ausbrach. Der Wagen war schwer, und er fuhr immer noch schnell. Er rutschte über den Kies und holperte über die Waschbrettrillen des Vorgartens. Hunt sah den Escalade mit dem verbeulten Kotflügel und der offenen Tür, und er sah die Dunkelheit dahinter. Er riss den Schalthebel in Parkstellung und durchquerte den Vorgarten im Laufschritt. Die Pistole glühte in seiner Hand. Drei Meter vor der Tür wehte ihm ein heißer Wind ins Gesicht. Schatten huschten über den Boden.
Als er ins Haus kam, sah er Katherine gefesselt auf dem Boden liegen. Ein silberner Klebstreifen bedeckte ihren Mund, und sie sog die Luft krampfhaft durch die Nase. Johnny lag auf dem Teppich, völlig verdreckt und bleich im Gesicht. Auch er war blutüberströmt und zerschlagen, und sein Blick zeigte nacktes Entsetzen. Holloway lag neben ihm wie ein Sack Knochen, entweder tot oder kurz davor. Freemantle stand über ihnen mit einem halbmeterlangen Metallrohr in der Hand, zerfetzt, blutüberströmt und wild. Er sah aus wie ein Verzweifelter, wie ein Killer. Für Hunt war die Rechnung einfach.
Bleirohr. Hohlblockstein. Ein und dasselbe.
Er schwenkte die Waffe nach rechts.
»Nicht«, sagte Johnny.
Aber Hunt drückte ab. Ein einziger Schuss, hoch oben in die rechte Schulter. Kein gezielter Todesschuss. Hunt wollte den Mann stoppen, aber er wollte ihn lebend.
Die Kugel ließ Freemantle rückwärts taumeln, doch er blieb auf den Beinen. Hunt kam näher und hielt die Waffe auf ihn gerichtet, aber Freemantle sah nicht aus, als wolle er sich auf ihn stürzen.
Eine seltsame Regung huschte über sein Gesicht, erst Verwirrung, dann so etwas wie Freude — Sonnenlicht, wenn das möglich war. Er hob die Hand und spreizte die Finger, dann schaute er an Hunt vorbei in den klaren blauen Himmel und die gelbe Sonne. Er blieb noch lange genug auf den Beinen, um ein einzelnes Wort zu sprechen.
»Sofia.« Dann knickten seine Knie ein, und er war tot, bevor er auf dem Boden lag.
FÜNFUNDFÜNFZIG
A ls Hunt den Vorfall meldete, war es unmöglich, kein Aufsehen zu erregen. Er brauchte Polizisten, Sanitäter, den Rechtsmediziner. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und die Reporter verließen ihren Posten vor Jarvis' Haus in einem Massenexodus. Ein entlaufener Häftling war tot, und dazu der reichste Mann der Stadt. Die Leichen lagen in Johnny Merrimons Haus.
Johnny Merrimon.
Schon wieder.
Hunt ließ die Straße sperren. Im Abstand von einer Viertelmeile zu beiden Seiten des Hauses sollten sich Streifenwagen quer über die schmale Fahrbahn stellen. Dann forderte er Sperrgitter an und ließ auch die aufstellen. Inzwischen war es Nachmittag geworden.
Nach ein paar unumgänglichen Fragen überließ er Katherine und Johnny den Sanitätern. Beide waren übel zugerichtet; Johnny konnte kaum stehen, aber die Sanitäter waren zuversichtlich, dass beide wieder auf die Beine kommen würden, auch wenn sie noch eine Weile
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