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Das letzte Kind

Das letzte Kind

Titel: Das letzte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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stehen und hockte sich auf die Fersen. Er erinnerte sich an Spencer Merrimon und daran, wie er um seiner Frau willen stark geblieben war.
    Er hatte sein Schuldbewusstsein unterdrückt und sich nicht anmerken lassen, dass es ihn von innen heraus auffraß. Es war, als habe seine-Hand immer auf der Schulter seines Sohnes gelegen, als habe er immer ein leises Dankeswort für die Männer gehabt, die sich bemühten, seine Tochter wieder nach Hause zu bringen. Hunt hatte den Mann gemocht, ihn vielleicht sogar geachtet. »Ist er das?«
    Alle Blicke richteten sich auf den Leichensack. »Wir nehmen es an.«
    »Warum?«
    »Hier«, sagte der Chief.
    Hunt stand auf, und alle wandten sich dem Campingtisch zu. Er war aus mattiertem Stahl und hatte ein Scharnier in der Mitte. Alles Mögliche lag darauf herum: ein Laptop, eine Kameratasche und ein Stativ, ein paar Notizbücher, eine Schachtel mit Latexhandschuhen. Ein paar Gegenstände waren in Asservatenbeutel verpackt. Der Chief zeigte auf eine fleckige Brieftasche. »Die war in seiner Tasche. Nylon, mit einem Klettverschluss. Dadurch ist der Inhalt ganz gut erhalten geblieben.« Neben der Brieftasche lag der Inhalt ausgebreitet, alles in einzelnen Klarsichtbeuteln. Führerschein. Kreditkarten. Ein paar schmuddelige Rechnungen und Quittungen. Ein Abholschein für die Reinigung. Papiere, die einmal zusammengefaltet gewesen waren und jetzt glatt gestrichen dalagen. Hunt sah ein Foto von Katherine und den Kindern. Es war ebenfalls fleckig, doch die Gesichter waren erkennbar. Johnny sah schüchtern aus, aber Katherine strahlte. Alyssa auch. »O Gott«, sagte Hunt.
    »Wir lassen gerade den Gebissstatus abgleichen, aber ich habe keinen Zweifel daran, dass er es ist.«
    »Doc?« Hunt sah Trenton Moore an. »Es ist ein Mann, und das Alter passt.« Hunt schaute hinüber zu den restlichen Flaggen und den Männern, die gebeugt über einer halb exhumierten Leiche standen. Jetzt war es mehr als wahrscheinlich, dass auch Alyssa Merrimon hier lag. Hunt drehte sich zum Tisch um und betrachtete den Inhalt der Brieftasche. Er sah die Quittungen durch — bedeutungslos — und stieß dann auf zwei Blätter, die so oft zusammengefaltet worden waren, dass die Knickstellen brüchig waren. Auf dem ersten war eine Kinderzeichnung: zwei Strichmännchen, ein Mann, der ein Kind an der Hand hielt. »Ich liebe meinen Daddy«, stand in einer unbeholfenen Handschrift daneben, und unten in der Ecke: »Alyssa, sechs Jahre.«
    Hunt nahm sich das zweite Blatt vor. »Adressen«, sagte Cross. »Wir werden sie nachher auf dem Revier überprüfen.«
    Hunt zählte neun Adressen. Die Handschrift war schlecht, aber lesbar. Keine Namen, keine Telefonnummern. Nur Adressen. Aber das eisige Kribbeln in seinem Hinterkopf sagte ihm, dass er mit seiner Vermutung über Spencer Merrimon recht hatte. Warum seine Leiche hier lag. Warum er gestorben war — wenn auch nicht, wie. Hunt kannte die Adressen. Er kannte auch die Namen, die dazugehörten.
    Registrierte Sexualstraftäter.
    Die schlimmsten.
    Cross war unrasiert, und seine Mundwinkel waren abwärts gekrümmt. Er deutete auf den Leichensack. »Ich dachte, dieser Merrimon wäre abgehauen.«
    »Nein.« Hunt legte das Blatt auf den Tisch. »Ich dachte, die Frau hätte ihm solche Vorwürfe gemacht, dass er die Stadt verlassen hat.«
    Hunt schaute über die Senke mit den flachen Gräbern hinweg. Er nahm die Kinderzeichnung vom Tisch. Roter Buntstift. Schiefe Herzen in den offenen Konturen. »Nein«, sagte er. »Dieser Mann hat an die falsche Tür geklopft.« Es war völlig still, und Hunt schwoll das Herz vor lauter Respekt. »Dieser Mann ist gestorben, weil er seine Tochter gesucht hat.«

DREIUNDFÜNFZIG
    A ls Johnny im Wald war, fühlte er sich plötzlich wie ausgelaugt. Die Veränderung vollzog sich innerhalb von Sekunden. Eben noch war er zuversichtlich und zielstrebig gewesen, und als Jack und die Scheune hinter ihm verschwanden, fühlte er sich unversehens hungrig und müde und seltsam desorientiert. Er ging über einen Pfad voll unerwarteter Windungen, der steil wurde, wenn er flach sein sollte. Es war der richtige Pfad, aber er sah nicht richtig aus. Johnny wurde es abwechselnd heiß und kalt. Äste kratzten an ihm, und der Bach floss schnell. Zweimal rutschte er im Schlamm aus, dann beugte er sich über das Wasser. Er tauchte die Hände hinein und drückte sie nass an sein Gesicht.
    Als er sich aufrichtete, ging es ihm besser. Der schmutzige Anstrich des Hauses schimmerte

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