Das letzte Kind
durch die Bäume.
Detective Hunt war auf halber Höhe des Abhangs, als sein Handy klingelte. Es war Officer Taylor, und sie berichtete ihm von Ken Holloway: von dem zertrümmerten Klavier und der körperlichen Misshandlung seines Hausmädchens. »Das ist das Klavier, das Johnny mit dem Stein getroffen hat, oder?«
»Ja.«
»Tja, jetzt ist es kaputt.«
Hunt war außer Atem. Die feuchte, stickige Luft drückte auf seine Lunge. »Was ist mit dem Dienstmädchen? Ist sie schwer verletzt?«
»Nein», sagte Taylor. »Und das ist ein Wunder. Sie sollten den Laden sehen.«
»Ist es schlimm?«
»Der Kerl ist ausgerastet. Alk und Koks, wie es aussieht. Er hat sein Dienstmädchen Katherine genannt.«
»Und?«
»So heißt sie nicht.«
»Oh, Scheiße.«
»Genau.«
»Setzen Sie Körperverletzung auf seine Liste und geben Sie es sofort heraus. Wir müssen ihn finden, bevor er noch jemanden verletzt. Und tun Sie mir noch einen Gefallen: Rufen Sie Katherine Merrimon an, und sagen Sie ihr, sie soll aus dem Haus verschwinden. Sie soll zum Revier fahren. Ich komme dann zu ihr. Sagen Sie ihr, ich muss mit ihr sprechen. Sagen Sie ihr, es ist wichtig.«
»Das ist es ja gerade.«
»Was?«
»Das hab ich schon versucht.«
Hunt ahnte, was kam.
»Bei ihr meldet sich niemand.«
Johnny trat aus dem Wald und auf das alte Stück Blechdach, das im Garten lag. Das Metall war so heiß, dass er es durch die Gummisohlen fühlen konnte. Er trat herunter, und das Blech federte mit dumpfem Ploppen. Er näherte sich der Rückseite des Hauses und sah durch die Fenster. Sein Zimmer war leer, das Fenster verriegelt. Beim Zimmer seiner Mutter war es genauso. Es war dunkel, und die Laken auf dem Bett waren zerwühlt. Durch die offene Tür konnte er in den Flur sehen: mattes Licht, verschrammte Rigipswände. Geduckt lief er um die Ecke nach vorn. sondern Kens Escalade stand im Vorgarten. Nicht in der Einfahrt, im Vorgarten. Er war über die Reihe der verkümmerten Sträucher hinweggewalzt und hatte dabei den einzigen Baum gestreift, der dort stand. Der vordere Kotflügel war eingedrückt, und an der Seite war eine halbmeterlange Schramme im Lack. Die Fahrertür stand offen, und der rechte Vorderreifen berührte die unterste Verandastufe.
Johnny legte die Hand auf die Motorhaube. Sie war noch warm.
Die Haustür war geschlossen, aber er hörte es deutlich genug: ein Schrei. Seine Mutter. Johnny rannte die Stufen hinauf.
Jack umfasste den Lauf mit der verkümmerten Hand und den Griff mit der andern. Er beobachtete Freemantle, der ausgestreckt auf dem Boden lag, sich unruhig im Schlaf bewegte und leise vor sich hin murmelte, während seine Brust sich hob und senkte. Er lag in der stillen Hitze wie ein dunkler Klotz.
Ein Mörder, der Angst vor Krähen hatte.
Ein Verrückter, der im Schlaf sprach.
Gott hat's gesehen.
Auch im Schlaf sagte er es immer wieder. Jack drückte den warmen Stahl an seine Wange. Wo blieb Johnny? Warum war er noch nicht wieder da?
Gott hat's gesehen.
Er hörte nicht auf damit.
Johnnys Hand hatte den Türknauf gefunden und drehte ihn, als die Tür von innen aufgerissen wurde, und zwar mit ganz unerwarteter und gewaltiger Wucht. Johnny wurde über die Schwelle ins Haus gezogen. Er sah seine Mutter am Boden liegen. Die Hände waren ihr mit Klaviersaiten auf den Rücken gebunden. Sie rief seinen Namen, und im nächsten Moment packte Holloway ihn bei der Kehle. Er hatte große Hände mit starken Fingern. Johnny bekam keine Luft. Er konnte nicht sprechen.
Mit einem Fußtritt schloss Holloway die Tür und schleifte Johnny mit sich, während er die Vorhänge vor die Fenster riss. Johnny zerrte an seinen Fingern. Sein Gesicht wurde heiß, der Druck in seinen Augen schwoll an. Seine Mutter rief noch einmal seinen Namen. Holloway hob ihn hoch, und Johnny sah den Hass in seinem Gesicht. »Hab ich dich, du kleines Stück Scheiße.«
Eine große Faust holte aus und flog heran, und Johnnys Welt wurde dunkel. Als er wieder sehen konnte, ließ Holloway ihn fallen. Johnny rollte sich auf den Bauch und sah ein Stück Teppich und Holloways makellos blanke Schuhe.
Seine Mutter schrie.
Levi stand am Ufer des Flusses. Seine Momma war eben beerdigt, und die Erde von ihrem Grab war noch unter seinen Fingernägeln und in den tiefen Falten seiner schwieligen Handflächen. Er war schweißüberströmt und erhitzt vom Graben und von der Trauer, von den Brandwunden unter der Gaze auf seinem Gesicht. Am Tag zuvor war er in die Stadt gegangen und
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