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Das letzte Kind

Das letzte Kind

Titel: Das letzte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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hing an seinem Gurtgeschirr. Ihre Seile waren hinten an einer Trommelwinde am Dodge befestigt. Er zog mit seinem ganzen Gewicht an beiden, um sich zu vergewissern, dass sie hielten. »Ein Spaziergang, Detective.«
    »Der Schacht ist zweihundert Meter tief.«
    »Okay.«
    »Und unten überflutet.«
    Der Feuerwehrmann nickte. »Kinderspiel.«
    Hunt trat zurück, und sie verschwanden über die Kante in den Schacht. Beim Abstieg verständigten sie sich durch Zurufe; ihre Stimmen wurden leiser und verklangen dann völlig. Hunt beugte sich vor und sah, wie das Licht ihrer Lampen abwärts wanderte. Sie beleuchteten den Schacht in kleinen Bögen, die immer enger wurden, als die Tiefe sie verschluckte.
    Hunt sah Johnny an. Der Junge wiegte sich im Sitzen vor und zurück. Seine Augen waren glasig, und seine Mutter weinte. Hunt beobachtete die beiden, während das Seil langsam abrollte.
    Es dauerte nicht lange.
    Hunts Funkgerät knisterte. Er drehte die Lautstärke herunter und wandte sich ab. »Ich höre.«
    »Wir haben hier was.« Es war der ältere Feuerwehrmann. Hunt warf einen Blick zurück zu Katherine. »Was?«
    »Sieht aus wie eine Leiche.«
    Johnny betrachtete eine Wolke, als Hunt in der herabsinkenden Dämmerung vor ihnen stand und berichtete, was die Feuerwehrleute gefunden hatten. Die Wolke hatte einen orangegelben Bauch und sah aus wie ein U-Boot. Der Wind zerrte an der Wolke und machte sie formlos und flach.
    »Johnny?«, fragte Hunt, aber Johnny konnte ihn nicht ansehen. Er schüttelte den Kopf, und Hunt redete weiter. Johnny sah zu, wie die Wolke sich verzog. Er hörte etwas darüber, dass der Schacht in fünfunddreißig Metern Tiefe eingebrochen war, er hörte etwas von Engpässen und lockerem Gestein. Instabil. Das verstand er. Johnny bewegte den Kopf, als Hunt von einer Leiche sprach, die über dem Flaschenhals eingeklemmt war. Man werde sie heraufbringen, hörte er.
    Doch es konnte nicht Alyssa sein. Das konnte nicht sein. Nicht nach dem, was mit seinem Vater passiert war. So konnte es nicht enden. Dann sagte Hunt: »Wir können sie noch nicht identifizieren.«
    Das war gut. Das klang hoffnungsvoll.
    Aber Johnny wusste es.
    Und seine Mutter wusste es auch.
    Er hörte auf, die Wolke anzuschauen, und seine Mutter drückte seine Hand. Johnny stand auf. Er sah, wie irgendein Gewicht dort in der Tiefe das Seil belastete. Die Winde am Truck drehte sich langsam, und er hörte das Geräusch eines kleinen Elektromotors. Hunt versuchte sie dazu zu überreden, in seinem Wagen zu warten oder sich von jemandem nach Hause bringen zu lassen. Seine Hand war unerwartet warm an Johnnys Arm. Aber Johnny rührte sich nicht von der Stelle. Er lauschte dem langsamen Mahlen der Seilwinde, und Hunts Stimme klang genauso: ein Summen und Brummen. Johnnys Mutter hörte offenbar das Gleiche, denn sie waren da, als es geschah.
    Beide.
    Zusammen.
    Die Leiche kam herauf, als der Rand der Sonne hinter dem höchsten Baum versank. Sie war in einem Vinylsack, der fast leer aussah — nicht so, als enthalte er einen Menschen. Hunt erlaubte ihnen, näher heranzukommen, blieb jedoch zwischen ihnen und dem Sack, auch als der in den Laderaum des Kombiwagens gehoben wurde. Ein kleiner Mann mit ausdrucksvollen Augen schaute einmal zu ihnen herüber; dann schloss er die Hecktür und ließ den Motor an, damit es im Wagen kühl blieb.
    Johnny war schwindlig, und ihm wurde übel. Die Schatten wurden lang. Seine Mutter ließ sich von Hunt zu einem anderen Wagen führen, und Johnny wusste, dass sie ihm nichts geben konnte. Sie hatte Mühe zu atmen.
    Johnny rührte sich nicht, war wie betäubt. Er starrte den Schacht an, als das schwere Seil erneut hinuntergelassen wurde. Es rollte von der Windentrommel und hielt dann an. Hunt war noch bei Johnnys Mutter am Wagen, als das Fahrrad herauskam. Es war rostig und verbogen, aber Johnny erkannte es. Es war gelb und hatte einen Bananensattel. Wenn er genauer hinsähe, würde er auch erkennen, dass es eine Dreigangschaltung hatte. Doch Johnny brauchte nicht genauer hinzusehen. Er kannte das Rad.
    Jacks Rad.
    Er hatte gesagt, es sei gestohlen worden.

ACHTUNDFÜNFZIG
    J ohnnys Körper schaltete sich ab. Seine Brust vergaß, sich zu bewegen, und die Dinge am Rand seines Gesichtsfelds wurden schwarz. Er starrte das Fahrrad an und dachte daran, wie oft er Jack damit gesehen hatte. Wie Jack gemeckert hatte, weil es nur drei Gänge hatte, und wie er schief darauf gesessen hatte, um den verkümmerten Arm auszugleichen.

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