Das letzte Kind
vornüber und wandte sich ab. Seine Hand tastete nach einem Ast, und er lehnte sich dagegen. »Du hast gesagt, Levi Freemantle hätte dir erzählt, wo sie war.«
»Auch gelogen.«
»Und warum jetzt, Jack? Warum sagst du es jetzt?«
»Weil Freemantle aus einem Grund hergeschickt worden ist.«
»Aus welchem Grund ?«
Jack war starr vor Angst. »Weil Gott es gesehen hat.«
Keine Krähen, dachte Johnny. Gott hat's gesehen.
»Das hat er immer wieder gesagt. Sogar im Schlaf hat er es gesagt. Keine Krähen. Gott hat's gesehen. Erinnerst du dich an den Namen dieses Schachts? No Croz. Das geht mir nicht aus dem Kopf, Johnny. Keine Krähen. Gott hat's gesehen. Gott weiß, was ich getan hab.« Jack brach ab. Dann fuhr er fort. »Das Letzte, was Freemantle zu mir gesagt hat ... das Letzte, was er gesagt hat... Oh, Scheiße.«
»Was?«
Jack setzte sich auf den Felsen. »Gott hat die Schönheit ihrer Seele gesehen.« Jack hob seine kleine Hand. »Ich werde in der Hölle brennen, Johnny.« Die Hand sank herab, und Jack fing an zu flehen. »Wenn dich jemand fragt, würdest du dann was Gutes sagen?«
Er weinte.
»Johnny?«
Johnny wandte sich ab und kletterte die Böschung hinauf. Jacks Stimme folgte ihm, dünn und immer dünner.
»Johnny?«
Nichts. Gras raschelte im Wind.
»Johnny?«
SECHZIG
H unt fuhr schnell, und das Blaulicht blitzte heiß hinter dem Kühlergrill. Yoakum saß mit eisernem Gesicht neben ihm. Die Uhr am Armaturenbrett zeigte zehn nach ein Uhr nachts. Hunt hatte eine Eilbesprechung mit dem Staatsanwalt und dem Richter arrangiert. Sie hatte eine Stunde gedauert, aber jetzt hatte er einen Haftbefehl in der Tasche, und zwei handverlesene Uniformierte waren als Verstärkung hinter ihnen. Niemand sonst war informiert. Nicht der Chief. Nicht die anderen Cops. Diesen Einsatz führten sie in aller Stille durch — nur für den Fall, dass Cross Freunde hatte, die für ihn in den Ring steigen würden. »Fünf Minuten«, sagte Hunt.
Zum dritten Mal kontrollierte Yoakum seine geborgte Pistole.
Hunts Handy klingelte. Nach einem Blick auf das Display nahm er das Gespräch an. Es war kurz, und als es zu Ende war, sah er Yoakum nicht an. »Der Rechtsmediziner«, sagte er. »Die Zahnarztunterlagen passen. Es ist Alyssa.«
Schweigen. Reifengummi auf dem Asphalt.
»Das tut mir leid, Clyde.«
»Vier Minuten.«
Dreißig Sekunden später klingelte Hunts Handy wieder. Die Nummer auf dem Display kannte er nicht, aber er meldete sich trotzdem und hörte dann zu. »Wo bist du, Johnny? Ganz ruhig. Ich bin hier. Nein. Nein. Lass dir Zeit.«
Hunt hörte eine volle Minute zu, ohne etwas zu sagen. Als der Junge geendet hatte, lag das letzte Puzzlesteinchen an seinem Platz, und Hunt sah alles. Das ganze Bild. Es passte tadellos zusammen. »Okay, Johnny. Ich hab verstanden, und ich kümmere mich darum. Nein, ich kümmere mich noch heute Nacht darum. Jetzt sofort. Wo bist du? ... Nein, ich möchte nicht, dass du in der Lobby wartest. Ich möchte, dass du ins Zimmer gehst. Ich habe alles im Griff. Wir sprechen morgen miteinander.«
Er klappte das Handy zu, und Yoakum wartete zehn Sekunden, bevor er fragte: »Was ist?«
Hunt berichtete in kurzen, harten Sätzen. Wie Alyssa gestorben war. Und wie sie in den Schacht gekommen war.
Yoakum brauchte eine Weile, um alles zu verdauen. »Sie ist bei einem Unfall gestorben?«
»Gerald war betrunken. Cross hat die Leiche versteckt, um seinen Sohn zu schützen. Er hat sie in den Schacht geworfen. Ganz allein.« Er atmete tief ein. »Mein Gott.«
»Alles okay?«
»Gerald kassieren wir auch.«
»Für Gerald haben wir keinen Haftbefehl.«
»Totschlagsverdacht. Das reicht, um ihn zu vernehmen.«
»Dieser Johnny ist ein tougher Bengel«, sagte Yoakum.
»Ja.«
»Cross landet auf jeden Fall hinter Gittern.«
»Noch eine Minute.«
Hunt bog in das Viertel ein, in dem Cross wohnte.
Johnny öffnete die Motelzimmertür mit seiner Schlüsselkarte. Zwei Lampen brannten. Seine Mutter saß auf der Kante des vorderen Bettes. Sie war angespannt, aber ihr Blick war klar.
»Ich konnte Hunt nicht anrufen«, sagte sie. »Er hätte dich nie zu mir zurückgelassen.«
Johnny trat ein und schloss die Tür.
»Du hast mich allein gelassen«, sagte sie, und Johnny sah, wie starr sie war. »Das werde ich nie wieder tun.«
»Wie kann ich das glauben?«
»Ich versprech's dir.« Sie kam durch das Zimmer auf ihn zu und nahm ihn in die Arme. »Versprich's mir noch einmal.« Johnny roch Seife und sauber
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