Das letzte Kind
vorhanden.«
»Ein Muster?«
Moore machte ein gequältes Gesicht. »Ein Profilmuster.«
Hunt spürte kalten Schweiß in seinem Nacken.
»Jemand hat sich auf seine Kehle gestellt, Detective. Jemand hat auf seiner Kehle gestanden, bis er tot war.«
Für Hunt veränderte sich die Atmosphäre des Morgens durch Moores Bericht. Er trug eine Bösartigkeit herein, die irgendwie noch kälter, grausamer und persönlicher erschien.
Hunt ging ins Haus, beunruhigt und wütend. Die Leichen waren nicht mehr da, aber die schwarze Morgendämmerung fühlte sich jetzt noch dunkler an. Um fünf vor halb sieben klingelte Hunts Handy. Es war sein Sohn. Hunt erkannte die Nummer und zuckte zusammen. Über all dem hatte er an den Jungen nicht mehr gedacht. Nicht ein einziges Mal. »Hallo, Allen.«
»Du bist nicht nach Hause gekommen.«
Hunt ging wieder hinaus auf die Veranda, schaute in den flachen grauen Himmel hinauf und sah das Gesicht seines Sohnes vor sich. »Ich weiß«, sagte er. »Es tut mir leid.«
»Kommst du zum Frühstück?«
Hunts Schuldbewusstsein vertiefte sich weiter. Der Junge versuchte, die Sache in Ordnung zu bringen. »Ich kann nicht.«
Schweigen. Dann: »Natürlich nicht.«
Hunts Finger spannten sich um das Handy. Er spürte, wie sein Sohn ihm entglitt, und hatte keine Ahnung, was er dagegen tun sollte. »Junge, wegen gestern Abend ...«
»Ja?«
»Ich hätte dich nicht geschlagen.« Hunt hörte ihn atmen, dann trennte der Junge die Verbindung. Verdammt. Hunt steckte das Handy ein und sah wieder zu den Zuschauern hinüber. Sie beobachteten den Van mit düsterer Faszination, alle bis auf einen. Der alte Mann in dem fleckigen Hemd stand auf den Bahngleisen und umklammerte mit einer Hand den Bund seiner zerlumpten Hose. Die Augenlider hingen so weit herab, dass an den unteren die rote Schleimhaut zu sehen war, und seine andere Hand zitterte vom Parkinson, als er an einer feuchten Zigarette zog. Er starrte Hunt an und winkte ihn dann mit einem krummen Finger heran.
»Yoakum«, sagte Hunt, und Yoakum streckte den Kopf zur Tür heraus. »Ich bin gleich zurück.« Hunt zeigte auf den Mann auf dem Gleis, und Yoakum betrachtete die hinfällige Gestalt.
»Brauchen Sie Verstärkung?«
»Hauen Sie ab, Yoakum.«
Die Böschung bröckelte unter Hunts Füßen, als er zu den Gleisen hinaufstieg. Rauch kräuselte sich um die weinrote Nase des alten Mannes, und der Parkinson hatte einen großen Teil seines Körpers erfasst, wie Hunt aus der Nähe erkannte. Der Alte war vielleicht eins fünfundsechzig groß, hatte krumme Schultern und war leicht nach rechts geneigt, als sei das Bein auf dieser Seite zu kurz. Sein weißes Haar hob sich im Wind. Er streckte die Hand aus, und seine Stimme ließ an einen Salzcracker denken. »Kann ich einen Dollar haben?«
Hunt betrachtete die zitternden Finger und das verblichene Tattoo auf dem Handrücken. »Wie wär's mit fünf?« Der Alte verfolgte, wie der Schein aus der Brieftasche kam, nahm ihn und stopfte ihn in die Tasche. Er leckte sich über die kalkigen Lippen, und sein Blick huschte an der Böschung auf der anderen Seite der Gleise hinunter. Hunt schaute hin und sah eine zerfetzte grüne Plane, die im niedrigen Dickicht hinter dem wuchernden Kudzu am Bahndamm aufgespannt war. Im Grün der Sträucher war sie fast unsichtbar. Er sah einen Stapel leerer Konservendosen und einen kreisrunden Fleck von schwarzer Erde. Der Mann war ein Obdachloser.
Jäh flackerte nackte Angst in den Augen des Mannes, und die Anspannung zog neue Falten in die hohlen Wangen. »Ist okay«, sagte Hunt. »Kein Problem.« Er zog noch einen Schein aus der Brieftasche, und der Alte wippte mit dem Kopf auf und ab und gackerte — ein rasselndes Geräusch, das in einem keuchenden Husten endete. Etwas Braunes klatschte auf die blinkende Schiene. Hunt musste wegschauen, und dabei sah er die Flaschen, die an der Böschung verstreut lagen. Billiger Wein, große Bierflaschen, ein paar Fläschchen von billigem Bourbon. »Haben Sie gesehen, was hier passiert ist?«, fragte Hunt und zeigte zum Haus hinüber.
Der Mann sah ihn mit leerem Blick an und wirkte plötzlich ratlos und ängstlich. Er wandte sich ab, und Hunt packte ihn bei einem spindeldürren Arm. Sein Ton blieb sanft, als er sagte: »Sir, Sie haben mich herangewinkt. Erinnern Sie sich?«
Der Alte trat von einem Fuß auf den andern. Seine krummen Finger waren gelb an den Spitzen. »5... s... sie lief gern nackicht rum.« Er deutete auf das Badezimmerfenster.
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