Das letzte Koenigreich
gaben, konnten sie auch wieder nehmen. Ich aber wollte Bebbanburg aus eigener Kraft zurückerobern.
Wusste ich das alles schon mit elf Jahren? Wenn nicht alles, so doch manches, davon bin ich überzeugt. Es lag noch ungeformt und unausgesprochen, aber hart wie ein Stein in meinem Herzen. Mit der Zeit geriet es halb in Vergessenheit oder in Widerspruch zu anderen Dingen, war aber immer da. Alles sei dem Schicksal unterworfen, sagte Ravn gern, und das auch auf Englisch: «Wyrd bid ful är a ed.»
«Woran denkst du?», fragte mich Rorik. «Dass es schön wäre, zu schwimmen», antwortete ich. Die Ruder tauchten ein und trieben die Windviper durch Mercien.
Am nächsten Tag trafen wir auf Gegner. Die Mercier hatten Bäume am Ufer gefällt und ins Wasser stürzen lassen. Sie blockierten den Fluss nicht gänzlich, machten es unseren Ruderern aber schwer, die schmale Lücke zwischen den Zweigen zu passieren. Etwa hundert Krieger erwarteten uns mit zwei Dutzend Bogenschützen und Lanzenwerfern an der Engstelle, die auf unsere Ruderer zielten, während sich die übrigen Männer am Ostufer hinter einem Schildwall verschanzten. Ragnar lachte, als er sie sah. Und auch hier lernte ich etwas Neues kennen: die Freude, mit der die Dänen den Kampf aufnahmen. Ragnar lenkte das Schiff ans Ufer, und auch die hinter uns fahrenden Schiffe legten an, während die Reiter, die uns begleiteten, von ihren Pferden stiegen.
Vom Bug der Windviper aus sah ich die Schiffsbesatzung ans Ufer springen und lederne Schuppenpanzer oder Kettenhemden anlegen. Und was hatten die Mercier vor sich? Junge Männer mit wilden Haaren und Barten , gierigen Mienen und einer Leidenschaft für die Schlacht, als wäre sie eine Geliebte. Wenn sie nicht gegen einen Feind kämpften, kämpften sie untereinander. Die meisten besaßen nichts als ungeheuren Stolz, viele Narben und gut geschärfte Waffen. Solchermaßen ausgestattet, nahmen sie sich alles, was sie wollten. Der Schildwall der Mercier brach auseinander, noch ehe der Kampf begonnen hatte. Als sie die Überlegenheit ihres Angreifers erkannten, flohen sie Hals über Kopf, begleitet vom höhnischen Gelächter der Männer Ragnars, die sogleich ihre Schuppenpanzer und Kettenhemden ablegten und sich mit Äxten und aus Tierhäuten gedrehten Seilen daranmachten, die gefällten Bäume wegzuräumen. Kurze Zeit später waren wir wieder unterwegs. Am Abend wurden die Schiffe, dicht beieinander liegend, am Ufer festgemacht, Lagerfeuer entzündet und Wachposten aufgestellt. Alle anderen Männer legten sich mit ihren Waffen schlafen. Doch die Nacht blieb ruhig, und als wir am Morgen weiterzogen, erreichten wir bald eine Stadt, die von einem breiten Erdwall und hohen Palisaden umschlossen wurde. Ragnar vermutete, dass dies der Ort war, dem tags zuvor der Verteidigungsversuch der Mercier gegolten hatte. Auf dem Wall war allerdings kein einziger Soldat zu entdecken. Also legte Ragnar an und führte seine Mannschaft gegen die Stadt.
Der Wall und die Palisaden waren in gutem Zustand, doch die Verteidigungstruppen waren anscheinend geflohen. Im Stich gelassen, knieten etliche Stadtbewohner vor den geöffneten Toren und flehten mit ausgestreckten Armen um Gnade. Drei der schreckensstarren Leute waren an ihren Tonsuren als Mönche zu erkennen. «Ich hasse Mönche», sagte Ragnar gut gelaunt und ließ sein Schwer !, den Herzbrecher, über dem Kopf kreisen. «Warum?», fragte ich.
«Mönche sind wie Ameisen», antwortete er. «Unnützes schwarzes Krabbelzeug. Ich hasse sie. Sprich für mich, Uhtred. Frag, wie dieser Ort heißt!»
Ich fragte und erfuhr, dass wir in Gegnesburh waren.
«Sag ihnen, dass ich Graf Ragnar bin, dass ich der Furchtlose genannt werde und dass ich Kinder fresse, wenn mir nicht Speise und Silber gegeben wird.»
Ich übersetzte. Die knienden Leute blickten zu Ragnar auf, der sein langes Haar offen trug, was, wie sie wussten, ein Zeichen dafür war, dass es ihn nach Raub und Mord gelüstete. Seine Männer hatten mit Äxten, Schwertern, Lanzen, Schilden und Kriegshämmern hinter ihm Aufstellung genommen und grinsten.
«Sie geben uns alles, was sie haben», übersetzte ich die Antwort eines graubärtigen Mannes. «Aber er sagt, es sei nicht viel.»
Lächelnd trat Ragnar vor und führte, weiter lächelnd, mit dem Herzbrecher einen Schlag gegen den Mann, der seinen Kopf fast vollständig spaltete. Ich sprang zurück, nicht aus Schrecken, sondern weil ich nicht wollte, dass Blut auf mein Gewand spritzte. «Ein
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