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Das letzte Koenigreich

Das letzte Koenigreich

Titel: Das letzte Koenigreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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war nicht tief, doch Ragnar prahlte, dass die Windviper sogar auf einer Pfütze schwimmen könne. Von weitem sah sie lang und schmal wie ein Messer aus, doch an Bord wurde deutlich, wie weit sich der Schiffsboden nach außen wölbte und dass sie mehr wie eine flache Schale auf dem Wasser lag und es nicht wie ein Messer durchschnitt. Selbst bei voller Ladung mit vierzig oder fünfzig Männern, den Waffen, Schilden, den Lebensmitteln und Ale, brauchte sie nur wenig Tiefe. Einmal setzte sie kurz auf, doch weil wir immer am äußeren Rand der Flussbiegungen entlangsteuerten, blieb stets genügend Wasser unterm Kiel. Deshalb war auch der Mast abgesenkt worden; damit wir unter den Zweigen der Bäume hindurchgleiten konnten, die über das Wasser hinausreichten.
    Ich saß mit Rorik und seinem Großvater Ravn im Bug des Schiffes. Unsere Aufgabe bestand darin, dem Alten zu schildern, was es zu sehen gab: Blumen, Bäume, Binsen, Wasservögel und Forellen, die nach Eintagsfliegen schnappten. Die Schwalben waren aus ihren Winterquartieren zurückgekehrt, schwirrten über den Fluss und sammelten am Ufer Schlamm für ihre Nester. Rohrsänger lärmten, Tauben gurrten im frischen Laub, und am Himmel kreisten lautlos und bedrohlich einzelne Falken. Schwäne beobachteten unsere Vorbeifahrt, und einige Male sahen wir junge Otter unter blassgrünen Weiden spielen, ehe sie in einem Wasserstrudel Reißaus vor uns nahmen. Dann und wann kamen wir an kleinen Ufersiedlungen aus strohgedeckten Holzhütten vorbei, doch die Bewohner und das Vieh waren schon verschwunden.
    «Mercien furchtet uns», sagte Ravn. Er hob seine weißen, blinden Augen in den Gegenwind: «Und sie haben Recht. Wir sind Krieger.»
    «Sie haben doch selbst Krieger», sagte ich.
    Ravn lachte. «Ich schätze, hier kann nur jeder dritte Mann richtig kämpfen, doch in unserem Heer, Uhtred, ist jeder ein Krieger. Wer nicht kämpfen will, bleibt zu Hause in Dänemark, wo er seine Felder bestellt, Schafe hütet oder zum Fischen aufs Meer fährt. Aber hier in England? Hier ist jeder Mann gezwungen zu kämpfen, und doch hat nur einer von dreien oder vieren auch den Mut dazu. Alle anderen sind Bauern, die sich nur aus dem Staub machen wollen. Wir sind Wölfe und kämpfen gegen Schafe.»
    Beobachte und lerne, hatte mein Vater gesagt, und ich lernte. Was bleibt einem Jungen vor dem Stimmbruch anderes übrig? Von drei Männern ist nur einer ein richtiger Kämpfer, erinnere dich an die Schattenwandler, hüte dich vor dem Streich, der unter das Schild zielt, ein Fluss kann eine Heerstraße ins Herz eines Königreichs sein. Beobachte und lerne.
    «Und sie haben einen schwachen König», fuhr Ravn fort. «Burghred ist sein Name, er ist feige, wird sich aber dem
    Kampf stellen müssen, weil wir ihn dazu zwingen, und er wird um Hilfe aus Wessex bitten, weiß aber in seinem schwachen Herzen sehr wohl, dass er nicht gewinnen kann.»
    «Woher wisst Ihr das?», fragte Rorik.
    Ravn lächelte. «Den ganzen Winter über, Junge, waren unsere Händler in Mercien unterwegs. Sie haben Pelze und Bernstein gegen Eisenerz und Malz getauscht, sich unters Volk gemischt, hingehört und uns dann erzählt, was ihnen zu Ohren gekommen ist.»
    Du musst die Händler töten, dachte ich.
    Warum kam mir dieser Gedanke? Ich mochte Ragnar. Ich mochte ihn mehr, als ich meinen Vater je gemocht hatte. Ich wäre längst nicht mehr am Leben, wenn Ragnar mich nicht verschont hätte. Er verwöhnte mich, behandelte mich wie einen Sohn und nannte mich einen Dänen. Ich mochte die Dänen, war aber, wie ich sehr wohl wusste, keiner von ihnen. Ich war Uhtred von Bebbanburg und hing an meinen Erinnerungen; an der Festung am Meer, an den kreischenden Möwen über den Wellen, den umherschwirrenden Papageientauchern, den Seehunden auf den Felsen und an den brandungsumtosten Klippen. Ich erinnerte mich an das Volk dieses Landes, an die Männer, die meinen Vater als ihren Herrn anerkannten, obwohl viele von ihnen mit ihm verwandt waren. Mit der Nachbarschaft auf gutem Fuß zu stehen und sämtliche Familien im Umkreis eines halben Tagesrittes zu kennen - das war und ist Bebbanburg für mich: Zuhause. Ragnar würde mir die Festung, wenn sie denn einzunehmen wäre, überlassen, doch dann würde sie den Dänen gehören, und ich wäre nichts weiter als ihr Handlanger, ein von ihrer Gunst abhängiger Aldermann und nicht besser als König Egbert, der kein König war, sondern ein verhätschelter Hund an einer kurzen Leine. Und was die Dänen

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