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Das letzte Koenigreich

Das letzte Koenigreich

Titel: Das letzte Koenigreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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hatte, die von den Merciern aufgebauten Hindernisse zu überwinden. Für einen Jungen wie mich war es einfach, durch das Geäst eines gefällten Baums zu kriechen. Lautlos und langsam bewegte ich mich voran, sprang dann auf und rannte los. Doch schon nach wenigen Schritten hielt mich ein Wachposten auf. «Wer bist du?», knurrte der Mann, und ich sah in der Lanzenspitze, die auf mich zielte, den Feuerschein blitzen.
    «Osbert», antwortete ich mit meinem alten Namen.
    «Ein Junge?» Verwundert schaute der Mann genauer hin.
    «Musste mal pinkeln.»
    «Warum pinkelst du nicht da, wo du schläfst?» «Mein Herr hat was dagegen.»
    «Wer ist dein Herr?» Mit erhobener Lanze musterte mich der Mann mit argwöhnischem Blick.
    «Beocca», antwortete ich. Es war der Name, der mir als erster in den Sinn kam.
    «Der Priester?»
    Die Frage überraschte mich. Ich zögerte und nickte dann, was den Wachposten offenbar zufrieden stellte. «Dann mach, dass du zurückkommst», sagte er.
    «Ich hab mich verirrt.»
    «Das kommt davon, wenn man so weit läuft, um meinen Posten voll zu pissen.» Er wies mir mit ausgestrecktem Arm die Richtung. «Da lang, Junge.»
    Ich ging durch das offene Lager, vorbei an Feuerstellen und Schutzhütten, in denen Männer schnarchten. Ein Hund bellte mich an. Pferde wieherten. Aus irgendeiner Ecke hörte ich Flötenspiel, zu dem eine Frau leise sang. Aus heruntergebrannten Holzscheiten stoben Funken.
    Der Wachsoldat hatte mich in die Reihen der Westsachsen geschickt, was ich an dem Drachenbanner erkannte, das im Licht eines großen Feuers vor einem noch größeren Zelt hing. Ich ging darauf zu, weil mir nichts Besseres einfiel, schaute mich nach Leitern um, sah aber keine. Unter einem Laubdach weinte ein Kind, eine Mutter seufzte, und vor einem Feuer sangen Männer. Einer von ihnen wurde auf mich aufmerksam, sah aber dann, dass ich nur ein Junge war, und schickte mich mit abweisender Handbewegung weiter. Ich war jetzt nahe dem großen Feuer vor dem beflaggten Zelt, in dem Kerzen oder Öllampen brannten. Zwei Männer bewachten den Eingang, und aus dem Inneren drangen Stimmen. Unbemerkt schlug ich mich seitlich ins Dunkel und hielt weiter nach Leitern Ausschau. Ragnar hatte gesagt, dass die Leitern wahrscheinlich irgendwo am Rand des Lagers aufgestapelt sein würden. Doch es waren keine zu sehen. Stattdessen vernahm ich ein Schluchzen.
    Ich schlich von hinten an das große Zelt und versteckte mich neben einem Stoß Feuerholz. Dem Gestank nach zu urteilen, befand ich mich in der Nähe eines Abtritts. Als ich mich duckte, sah ich einen Mann, der zwischen dem Holzstoß und dem Zelt auf der Erde kniete. Er war es, der schluchzte. Außerdem betete er und schlug sich manchmal mit beiden Fäusten an die Brust, was mich erstaunte, sogar beunruhigte. Trotzdem legte ich mich flach auf den Bauch und kroch wie eine Schlange näher heran, um zu sehen, was dieser Mann sonst noch tun würde.
    Er stöhnte wie unter Schmerzen, reckte die Hände gen Himmel und verbeugte sich dann tief, als bete er die Erde an. «Verschon mich, Gott», hörte ich ihn flehen, «erbarme dich meiner. Ich habe gesündigt.» Und dann erbrach er sich, obwohl es nicht den Anschein hatte, als sei er betrunken. Nachdem er sich übergeben hatte, fing er wieder an zu stöhnen, und es schien mir, als sei er noch jung. Dann wurde eine Zeltbahn aufgeschlagen, und Kerzenlicht flutete nach draußen. Ich erstarrte, lag da wie ein Holzscheit und sah, dass der Mann, dem es so elend erging, tatsächlich noch jung war. Und zu meinem Erstaunen erkannte ich in dem Mann, der dann aus dem Zelt trat, Pater Beocca. Ich hatte es für Zufall gehalten, dass sich hier im Lager der Mercier ein zweiter Priester aufhielt, der wie mein ehemaliger Lehrer Beocca hieß. Aber es war kein Zufall. Vor mir stand der rothaarige, schielende Priester von Bebbanburg.
    «Mein Herr», sagte Beocca und ließ die Zeltbahn fallen, worauf es wieder dunkel wurde.
    «Ich habe gesündigt, Vater», beichtete der junge Mann. Er hatte zu schluchzen aufgehört, um sich dem Priester nicht in seiner Schwäche zu offenbaren. «Ich bin ein Sünder.»
    «Das sind wir alle, mein Herr.»
    Doch der auf dem Boden kniende Mann schien untröstlich zu sein. «Ich habe schwer gesündigt.»
    «Rettung liegt in der Reue, mein Herr.»
    «Dann müsste ich, weiß Gott, errettet werden, denn meine Reue ist so unermesslich wie der Himmel.» Er hob den Blick zu den Sternen. «Das Fleisch, Vater, das Fleisch», stammelte

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